Internationales AIDS-Hilfe-Treffen in Wien
Die WHO veröffentlichte im Nachgang zur Tagung die bei dieser Gelegenheit verabschiedete Erklärung über die Anliegen, Ziele und Probleme sowie über die zukünftige Zusammenarbeit zwischen AIDS-Service-Organisationen. Der Grundstein für die Gründung von ICASO und EuroCASO, des internationalen sowie des europäischen Dachverbands von AIDS-Hilfe-Organisation, war gelegt worden (Download-Link in der „Nachträglichen Anmerkung“ am Ende des Beitrags).
Vom 28. Februar bis 3. März 1989 fand in Wien die „Erste internationale Tagung über AIDS-Hilfsorganisationen und ihre Rolle in HIV/AIDS-Politik und -Programmen“ statt. Organisiert wurde das Treffen zwar vom WHO-Europabüro in Kopenhagen, es war jedoch keine offizielle WHO-Veranstaltung, um die nichtstaatlichen AIDS-Hilfen nicht zu bevormunden. Österreich ist offiziell als Gastgeber aufgetreten, bei den Vorbereitungen vor Ort half tatkräftig die Österreichische AIDS-Hilfe.
Viele der AIDS-Hilfen sind aus Betroffeneninitiativen entstanden und sahen sich im Laufe ihres Bestehens zu einer ständigen Erweiterung ihres Hilfsangebots gezwungen. Mit der Zunahme der Aufgaben und dem dadurch notwendigen Wachsen der AIDS-Hilfen tauchten auch viele organisatorische und Managementprobleme auf, für die vor allem die als Selbsthilfeorganisationen konzipierten Gruppen nicht gerüstet waren.
Unbestritten ist das eminente Verdienst der AIDS-Hilfen in der AIDS-Prävention und -Bekämpfung. Die Verdienste der AIDS-Hilfen wurden vom Direktor des Globalen AIDS-Programms der WHO, Dr. Jonathan Mann [1947–1998], in seiner Eröffnungsrede denn auch gebührend gewürdigt. Allerdings stehen den enormen Anstrengungen und Leistungen der AIDS-Hilfen auf nationaler Ebene oft nicht jene Einflußmöglichkeit und jenes Mitsprache- und Mitentscheidungsrecht gegenüber, das ihrer Arbeit angemessen wäre.
Diese beiden Bereichen waren denn auch der vorgesehene Schwerpunkt des Treffens, die inhaltliche Erörterung zu den in Zusammenhang mit AIDS wichtigen Bereichen wie Homosexualität, Drogen, Frauen etc. war nicht vorgesehen.
Trotz der relativ kurzen Vorbereitungs- und Ankündigungszeit folgten rund 50 Vertreter aus mehr als 20 Ländern und allen Kontinenten dem Ruf der WHO nach Wien. Dabei zeigte sich einmal mehr, daß die Probleme in den verschiedenen Erdteilen sehr unterschiedlich sind. Und auch die AIDS-Hilfen divergieren in ihrer Zusammensetzung, ihren Angeboten, ihren Schwerpunkten. So waren zwei Prostituiertenorganisationen, eine australische von Frauen und eine kanadische für Stricher, genauso vertreten wie reine Selbsthilfegruppen von Infizierten und AIDS-Kranken oder auch AIDS-Hilfen aus Afrika und Karibik, die in erster Linie heterosexuelle Menschen betreuen, da AIDS dort eine „Familien“-Krankheit ist.
Ein weiterer großer Unterschied besteht in der Finanzierung der Gruppen. Während in Nordwesteuropa und Australien/Neuseeland die AIDS-Hilfen zum Großteil staatlich finanziert werden, sind die nordamerikanischen und zum Teil auch südeuropäischen auf freiwillige Spenden angewiesen.
Diese Unterschiede machten auch deutlich, daß globale Treffen sicherlich wichtig sind, daß aber eine Regionalisierung des Informations- und Erfahrungsaustausches notwendig ist, denn dieser kann effizienter vonstatten gehen, wenn sich Organisationen treffen, die vor ähnliche epidemiologische Ausgangslagen und damit ähnliche Probleme gestellt sind.
In Workshops und Plenarsitzungen wurde zu den Themenstellungen „Strategical Planning und Organisational Design“ und „Relationships and Networking“ gearbeitet.
Natürlich kommt auch auf der Ebene der Planung und der Organisation sofort die Politik ins Spiel, denn Gesetze zur Homosexualität oder der behördliche Umgang mit der Drogenproblematik haben unmittelbare Auswirkungen auf die Arbeit der AIDS-Hilfen.
Und so wurden auch etliche politische Forderungen an die WHO und deren Mitgliedstaaten formuliert, u. a.: die Anerkennung der Arbeit der AIDS-Hilfen, ausreichende finanzielle Mittel für die Erfüllung ihrer vielfältigen Aufgaben, die Beseitigung struktureller bzw. systemimmanenter Hindernisse, wie eben die Kriminalisierung Homosexueller oder „in der Sex-Industrie Arbeitender“ oder die gesetzlich eingeschränkte Verfügbarkeit von Nadeln und Spritzen, die Schaffung von Antidiskriminierungsbestimmungen.
Weiters wurde angeregt, in jedem Land eine Gruppe zu bestimmen, die die internationalen Kontakte wahrnimmt und für die Weitergabe von Informationen an alle anderen AIDS-Hilfe-Organisationen im Land sorgen soll. Die Teilnehmer sprachen sich für regelmäßige weitere Treffen, die von der WHO oder den Regierungen bezahlt werden sollen, aus.
Auch die Schaffung eines internationalen Dachverbandes der AIDS-Hilfegruppen wurde ins Auge gefaßt. Dieser solle nicht nur eine Informationszentrale für die Mitglieder werden, sondern auch Projekt- und Mitarbeiteraustausch international koordinieren und Ausbildungs- und Trainingsmöglichkeiten anbieten.
Nähere Modalitäten für diesen Dachverband sollen im Juni in Montreal besprochen werden, wo unmittelbar vor der großen fünften AIDS-Konferenz die nichtstaatlichen und Freiwilligen-Organisationen zusammentreffen, um u. a. die psychosozialen Aspekte von AIDS zu diskutieren.
Auf der Wiener Tagung hat sich die Österreichische AIDS-Hilfe bereit erklärt, für die europäische Region vorerst als Kontaktstelle zu fungieren und eventuelle Aktivitäten zu koordinieren.
Daß die internationale Koordination der AIDS-Hilfen ein großes allgemeines Bedürfnis in den einzelnen Gruppen ist, hat die Wiener Tagung deutlich gezeigt.
Nachträgliche Anmerkung:
Die bei dieser Tagung verabschiedete gemeinsame Erklärung über die Anliegen, Ziele und Probleme sowie über die zukünftige Zusammenarbeit zwischen AIDS-Service-Organisationen und WHO wurde später in einem offiziellen WHO-Dokument veröffentlicht.