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Flemming verhindert Reform

Erschienen am 7. Oktober 1988

Familienministerin Marilies Flemming ist es gelungen, eine geplante Reform der Homosexuellenparagraphen zu verhindern. Im Entwurf des Justizministeriums zur Regierungsvorlage für das neue Jugendgerichtsgesetz war die Herabsetzung der Schutzaltersgrenze für homosexuelle Handlungen auf 16 Jahre vorgesehen. Doch Flemming legte im Ministerrat ihr Veto ein. Die dem Parlament zugeleitete Regierungsvorlage sieht daher die Altersgrenze unverändert bei 18 vor. Obwohl die Justizsprecher aller vier Parteien im persönlichen Gespräch mit HOSI-Vertretern sich für 16 Jahre aussprachen, musste sich ÖVP-Justizsprecher Graff schließlich dem Diktat Flemmings beugen: Er wird sich weder im Justizausschuss noch im Plenum für ein Schutzalter von 16 Jahren einsetzen.

So wie es derzeit aussieht, scheinen auch die Feiglinge der anderen Parteien kein großes Interesse zu haben, die 16 gegen Flemming durchzusetzen, ganz so, als wäre das Parlament ein Vollzugsorgan Flemmings und ihrer persönlichen Wünsche. Aber die Politiker haben bei uns halt Angst, selbst in den Verdacht, schwul zu sein, zu geraten, falls sie sich zu sehr in dieser Frage engagieren, natürlich auch die ach so progressiven Sozialisten. Ihre Ängste sind sicher berechtigt, aber völlig übertrieben. In Schweden zum Beispiel haben die Sozialdemokraten soeben einen Wahltriumph gefeiert, obwohl sie in einen „Homo-Skandal“ verwickelt waren, während die Bürgerlichen, die daraus politisches Kapital schlagen wollten, ihre größte Wahlschlappe seit 40 Jahren erlitten (vgl. Auslandsteil in diesem Heft, S. 53 ff). Und in Österreich scheißen sie sich in die Hosen!

Nicht genug aber damit – Flemming gelang es, die von allen Parteien in größter Einigkeit bereits vorbereitete ersatzlose Streichung des § 210 StGB (Verbot der männlichen homosexuellen Prostitution) zu sabotieren. Damit reiht sie sich an der Spitze der staatlichen „AIDS-Mörder“ ein, die man dereinst für den Tod tausender Menschen verantwortlich machen wird, weil sie durch Untätigkeit, Gleichgültigkeit oder aktive Obstruktion die AIDS-Prävention behindert bzw. verunmöglicht haben.

Nie war das „d“ anstatt des „t“ im Titel dieser Kolumne so berechtigt wie diesmal, da wir uns hier mit den Aussagen Flemmings zur Reform der §§ 209 und 210 StGB in der Neuen Kronenzeitung beschäftigen wollen, denn sie sind ein einziges „Leid“. Leid natürlich in erster Linie für die vielen AIDS-Opfer, die Flemming auf dem Gewissen haben wird – aber auch Mit-Leid für Flemming. Diese Frau kann einem wirklich nur mehr leid tun!

Für den Kolumnisten ist es wirklich schwierig, auf so einen hanebüchenen Schwachsinn eine Glosse zu schreiben. Es ist unbefriedigend und witzlos, gegen einen derartigen offensichtlichen Nonsens zu polemisieren, wenn er einem dermaßen auf dem Silbertablett serviert wird. Sachlich zu argumentieren hat in diesem Fall wohl keinen Sinn mehr, da ist Hopf und Malz verloren. Die einzig echt befriedigende Alternative wäre eine wüste Schimpforgie, im Zuge derer man dieser Frau all die netten Dinge sagt, die wir alle denken (dürfen), die jedoch hier nicht abgedruckt werden können, denn bei Ehrenbeleidigungssachen akzeptieren die Gerichte leider keinen Wahrheitsbeweis.

Flemmings Amtsstil ist gekennzeichnet durch gute PR, sie ersetzt konkrete Taten durch medienwirksamen Verbalaktionismus. Ihre leicht schusselige Naivität, von der ich früher annahm, dies sei ihre „Masche“, von der man jetzt allerdings weiß, daß sie echt ist, machte sie beliebt im Volk, das die ausgekochten Politikerschlitzohren mehr als satt hat. Bei ihren Politikerkollegen, die offenbar schon früher bemerkt haben, daß Flemming aufs Orale beschränkt ist, genießt sie so etwas wie Närrinnenfreiheit. Wie sie das allerdings ertragen, bleibt ein Rätsel. Vor allem tun einem ihre sozialistischen Kollegen leid. Daß sich die allerdings mit solchen Leuten auf eine Regierungsbank setzen, zeigt einmal mehr, wie tief die österreichische Sozialdemokratie gesunken ist. Nicht nur, daß die Sozis ihre gesellschaftlichen Ziele und Visionen zugunsten der klerikal-konservativen Forderungen der Volkspartei auf ein ideologisches Endlager geschmissen haben, sie besitzen nicht einmal mehr genug Selbstachtung und Stolz, daß sie Flemmings Schwachsinn kategorisch und bedingungslos zurückweisen (Prostitution erst ab 30 – das darf doch wirklich nicht wahr sein!). Aber die Roten brauchen einem auch nicht leid tun, sie verdienen’s nicht besser. Ein trauriger 100. Geburtstag der österreichischen Sozialdemokratie steht bevor. Den ideologischen Konkurs hat sie schon angemeldet.

„AIDS-Terroristin“

Welche Motive stehen hinter Flemmings ebenso fanatischem wie unrealistischem Einsatz für das heterosexuelle Kernfamilienidyll, in das sie alle ÖsterreicherInnen pressen will? Welche Hintergründe gibt es für die Verankerung von Ehe und Familie in der Verfassung, die Beibehaltung der Strafbarkeit des Ehebruchs und der Schwulen- und Lesbenparagraphen? Für mich hat ihr missionarischer Eifer schon faschistoide Züge, ja beängstigende Orwellsche Formen angenommen. Nichts gegen Flemmings Wunschträume und Illusionen, aber sieht sie denn nicht die Realität? Das heterosexuelle Kernfamilienglück existiert ja ohnehin nur für eine Minderheit, die Mehrheit hat freiwillig oder unfreiwillig andere Alternativen gewählt. Flemmings pathologischer Schwulenhaß muß auch persönliche Ursachen haben. Nun, darüber wollen wir hier nicht spekulieren. Ich frage mich, wozu es gut sein soll, schwule Männer und lesbische Frauen durch schwere legislative Geschütze bei der heterosexuellen Stange zu halten. Flemming übersieht offenbar, daß damit nicht nur die betroffenen homosexuellen Personen ins Unglück gestürzt werden, sondern auch ihre Familien.

 

 

Kurts Leidartikel LN 4/1988