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„Schwulen-Genozid“ durch Löschnaks AIDS-Politik?

 

Erschienen am 12. Juli 1988
In Amerika wurde AIDS durch die Trägheit der Reagan-Administration zur Katastrophe für die Schwulen. Ähnliches droht auch in Österreich – durch Homophobie, Vorurteil, Ignoranz und nicht zuletzt durch die schwulendiskriminierenden Paragraphen.

Nebenstehenden Text verfaßte ich für das Programmfaltblatt zu unserem AIDS-Informationsmonat (vgl. „Aktivitäten“, S. 8 ff). Die darin enthaltene Kritik hat in jüngster Zeit eine tragische Aktualität erfahren: Im Juli und August soll eine große Plakatkampagne der Österreichischen AIDS-Hilfe im ganzen Land laufen: Die großen „Außenwerbefirmen“ haben der ÖAH 4000 Plakatflächen in ganz Österreich für 8- und 16-Bogenplakate während der werbeflauen Sommermonate kostenlos angeboten, eine bisher einmalig großzügige Unterstützung kommerzieller Firmen. Die ÖAH hat eine Werbeagentur mit der Produktion der Plakate beauftragt. Sechs verschiedene Sujets wurden ausgewählt und sollten produziert werden: vier heterosexuelle und zwei homosexuelle Paare sollten für „Schutz aus Liebe“ werben.

Als die Vorlagen fertig waren, mischte sich das Bundeskanzleramt ein (schließlich zahlt es ja!) – die Entwürfe sollten dem Minister vorgelegt werden. Dieser ließ ausrichten, er wünsche keine schwulen Paare plakatiert zu sehen. Alles andere wäre ihm wurscht. Dies wäre weiter nicht schlimm gewesen, hätten nicht die Plakatierfirmen plötzlich ihr millionenschweres Angebot vom Plazet des Ministers abhängig gemacht. Alarmiert durch Löschnaks Einwände, verlangten sie nun auch, die heterosexuellen Sujets zu zensurieren. In zähen Verhandlungen einigte man sich dann darauf, zwei Hetero-Plakate in leicht beschnittener Form zu affichieren und die beiden anderen zu verwerfen. Angesichts der zahlreichen sexistischen und pornografischen Plakate (Wrangler), die Gewista & Konsorten auf ihre Werbeflächen kleistern, stellt die Zensur der harmlosen, ästhetisch schönen und sinnlichen Plakate der ÖAH eine zum Erbrechen verlogene Heuchelei dar.

Die international zu beobachtende bedenkliche Tendenz, AIDS zu „enthomosexualisieren“, treibt also auch in Österreich gefährliche Blüten (vgl. dazu den Konferenzbericht „Die Enthomosexualisierung von AIDS“ in diesem Heft, S. 49 ff).

Das BKA rechtfertigt seine Haltung u. a. mit dem Hinweis auf § 220 StGB (Verbot der „Werbung für gleichgeschlechtliche Unzucht“). Außerdem wüßten die Schwulen ohnehin schon so gut Bescheid. Und die versteckten Schwulen, die nicht durch die Szene erreicht werden könnten und auch nicht von sich aus zur AIDS-Hilfe kämen, hätten doch zumindest in der Zeitung gelesen, daß sie gefährdet sind. Mit diesem Argument könnte man sich gleich jede weitere Anstrengung auf dem Gebiet der AIDS-Vorbeugung sparen.

Wichtige Dinge werden hier außer acht gelassen:

  • Wahrscheinlich 80 % der geschätzten 300.000 homosexuellen Männer Österreichs führen ein Leben als biedere Ehemänner und Familienväter. Nur ein Bruchteil da von wird durch die Szenenarbeit erreicht bzw. sucht von sich aus die kompetenten Aufklärungs- und Beratungseinrichtungen auf. Die meisten dieser Homosexuellen identifizieren sich auch gar nicht als Homosexuelle. Auf alle Fälle kann die Mehrzahl von ihnen mit den Präventionsbotschaften nur über die herkömmlichen Kanäle erreicht werden: über Fernsehen, Radio und die gewöhnlichen Printmedien – und dabei muß natürlich über Sexualität zwischen Männern (nicht einmal sosehr über Homosexualität) gesprochen werden;
  • eine einmalige Kampagne im Jahr bringt überhaupt nichts. AIDS-Aufklärung muß ständig passieren und darf nie erlahmen – frapper toujours – immer und überall präsent sein. Damit man aber dabei die Leute nicht abstumpft und dadurch das Gegenteil von dem erreicht, was man eigentlich will, muß man sich ansprechende Formen der Vermittlung von Präventionsbotschaften überlegen. AIDS-Aufklärung darf die Leute nicht anöden, sondern muß ihre Aufmerksamkeit fesseln – eigentlich eine banale Binsenweisheit aus der Werbung.

Einmal mehr zeigt sich, daß Homophobie und Vorurteil schwule Männer massiv bedrohen. In diesem Fall geht es aber nicht um schreckliche Lebensbedingungen, die es zu verbessern gilt, hier geht es um Leben und Tod – um unser Leben und unseren Tod; und da ist unsere Geduld endgültig zu Ende:

Wenn die letzte Konsequenz des § 220 StGB der Tod tausende Homosexueller in diesem Land ist, dann muß dieser Paragraph schleunigst weg. Wir haben zehn Jahre mit friedlichen und demokratischen Mitteln gegen diesen Paragraphen gekämpft und nichts erreicht. Nun, da uns durch diese Gesetzesbestimmung ein Homocaust droht, werden wir unsere Strategien überdenken müssen.

Den Politikern und der Gesellschaft ist es offenbar ein Dorn im Auge, daß wir uns nicht so widerstandslos wie vor 50 Jahren ausrotten lassen wollen. Mit der schamlosen Aufrechterhaltung der vier Schandparagraphen und der zynischen Untersagung von schwulenspezifischer AIDS-Aufklärung über breitenwirksame Medien unter Hinweis auf § 220 hat uns die Gesellschaft den Vernichtungskrieg erklärt. Schlagen wir zurück, bevor es zu spät ist!

Ministerielle Krämerseelen haben immer noch nicht kapiert, daß angesichts der Todesbedrohung für tausende Menschen die Möglichkeit für sie, unter oppositionellen Beschuß zu geraten oder von Heuchlern und Pharisäern aller Sorten eventuell kritisiert zu werden, zu kosmischer Bedeutungslosigkeit verkommt! Man hat offenbar nicht erkannt, daß man die AIDS-Krise nicht mit einer Politik in den Griff bekommen wird, die sich am nächsten Wahltermin und an der Beliebtheitshitparade der Meinungsforschungsinstitute orientiert.

Für die Schwulen ist es tödlich, in dieser Situation Verständnis für die Feigheit von Ministern aufzubringen.

Unsere Geduld ist zu Ende!

Weg mit § 220 und den anderen Schandparagraphen!

 

Kurts Leidartikel LN 3/1988

Nachträgliche Anmerkungen

Ich kann es ja bis heute nicht glauben und verstehen, dass wir uns all das wirklich so lange gefallen ließen. Mein Appell, zu weniger friedlichen Mitteln zu greifen, fand nur wenig Widerhall, aber immerhin gründete sich 1990 die Aktionsgruppe ACT UP WIEN, die personell ziemlich ähnlich zusammengesetzt war wie der Rosa Wirbel zu dem Zeitpunkt. Hauptakteure waren MICHAEL HANDL, FRIEDL NUSSBAUMER und ich. In der Zeit gab es einige aktionistische Auftritte, u. a. die Besetzung des Büros von Ministerin Flemming am Welt-AIDS-Tag 1988. ACT UP WIEN verfolgte ÖVP-Prominenz, wo immer sie sich im AIDS-Bereich wichtigmachen wollte.

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Bekanntlich sollte es noch mehr als acht Jahre dauern, bis das Informationsverbot im § 220 StGB per 1. März 1997 endlich außer Kraft gesetzt wurde (der Nationalratsbeschluss dazu erfolgte bereits im November 1996). Da hatte ich dann aber längst sämtliche Geduld verloren und war zur Tat geschritten: Am 1. August 1995 habe ich aus Protest gegen die anhaltende ÖVP-Blockade der Strafrechtsreform die homosexuellen Neigungen vier lebender österreichischer Bischöfe geoutet. Das hat wohl dazu beigetragen, dass ein Jahr später zumindest die §§ 220 und 221 StGB, das Informations- und das Vereinsverbot, aufgehoben wurden. Die Aufhebung des höheren Mindestalters (§ 209 StGB) blockierte die ÖVP noch weitere sieben Jahre erfolgreich – bis 2002.

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Der von mir hier verwendete Begriff „Homocaust“ war ein schwerer Fauxpas. Siehe dazu auch die nachträglichen Anmerkungen zu meinem Kommentar in den LN 2/1988.

 

 

Zuerst kommt das Virus und dann kommt die Moral?

In Sachen AIDS-Politik herrscht in Österreich scheinbar ein breiter nationaler Konsens: alle Parteien, die maßgeblichen Gesundheitspolitiker und -behörden, die AIDS-Hilfe sowie die Vereinigungen, in denen die am stärksten betroffenen Personengruppen organisiert sind, etwa die Homosexuellen Initiativen, begrüßen den hierzulande eingeschlagenen Weg der AIDS-Prävention und AIDS-Bekämpfung.

Doch dieser scheinbare Konsens hat wenig Verbindung zur Wirklichkeit, denn hinter den Kulissen findet ein täglicher Kleinkrieg und Grabenkampf zwischen „Tauben“ und „Falken“ , zwischen Befürwortern einer auf Vertrauen und Eigenverantwortung basierenden AIDS-Prävention und den „Scharfmachern“, die für Zwangsmaßnahmen plädieren, statt. Gelegentlich wird diese Auseinandersetzung auch notorisch, z. B. bei den Routine-Zwangstests in Wiener Gemeindespitälern oder bei der Interpretation des ministeriellen Erlasses zur Infektionsquellenforschung.

Unbestritten ist die Wirksamkeit dieses scheinbaren nationalen Konsenses, den keine der beiden „Seiten“ wirklich ernsthaft gefährden will. Zu diesem Konsens gehört auch das erklärte Ziel, AIDS nicht zu einer Schwulen- und Fixerkrankheit werden zu lassen, sondern zu einer, die uns alle betrifft. Dies ist durchaus auch im Sinne der Homosexuellen, doch ergibt sich dabei ein großes Dilemma für sie: So gut die Absicht, AIDS zu einer Allerweltskrankheit zu banalisieren, auch gemeint ist, führt diese Bemühung doch dazu, daß Homosexualität in der AIDS-Aufklärung meist total totgeschwiegen wird. Krassestes Beispiel dafür war die letzte Informationskampagne im Fernsehen. In keinem einzigen der zehn TV-Spots kamen Homosexuelle vor. Homosexualität ist tabu! Die Leidtragenden dieses Tabus sind einmal mehr die Schwulen, die dadurch – obwohl mit 70 % am stärksten betroffen – von den Präventionsbotschaften nicht nur ausgeschlossen werden, sondern in der bei ihnen möglicherweise vorhandenen Verdrängung des Problems ungestört bleiben. Hier siegte die „Moral“ über das Virus!

Man kann indes Verständnis und Respekt für die Infizierten und Erkrankten nicht wecken, ohne zugleich Verständnis und Respekt für ihre homosexuelle Neigung und ihre Würde als homosexuelle Menschen zu schaffen. Dies ist sicherlich ein mühsames und schwieriges Unterfangen. Dennoch muß einmal damit begonnen werden, denn sonst ist jede wirksame AIDSPrävention letztlich zum Scheitern verurteilt.

Dieser AIDS-Informationsmonat soll dazu beitragen, der Gesellschaft zu vermitteln, daß AIDS-Vorbeugung auch Akzeptanz der Homosexualität und der Homosexuellen bedeuten muß.