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Jahrestagung in Turin: ILGA-Europa feiert 15-jähriges Bestehen

Veröffentlicht am 15. Dezember 2011
Dieser runde Geburtstag war für mich ebenfalls ein Jubiläum: 30 Jahre Teilnahme an ILGA-Konferenzen. Nostalgisch und sentimental war es zudem, weil meine erste I(L)GA-Tagung auch in Turin stattfand – 1981. Und es war damals ein fulminanter Einsteig für die HOSI Wien. Insgesamt sollte ich es bis 2017 auf 52 Teilnahmen an ILGA-Kongressen bringen, wohl einsamer Allzeitrekord. Über die Tagung in Turin berichtete ich in den LN 5/2011.

Vom 27. bis 30. Oktober 2011 fand in der piemontesischen Metropole Turin die 15. Jahrestagung der ILGA-Europa statt, des europäischen Regionalverbands der International Lesbian, Gay, Bisexual, Trans and Intersex Association. Die Konferenz stand unter dem Ehrenschutz der beiden Kammern des italienischen Parlaments sowie der Stadt und Provinz Turin. Die Stadt lud die rund 300 TeilnehmerInnen auch zu einem Empfang ins Foyer des Teatro Regio, das die städtische Oper beherbergt. Dank einer großzügigen Subvention der Stadt Turin in der Höhe von € 50.000,– konnten viele Stipendien vergeben werden, weshalb eine neue Rekordzahl an Delegierten bei einer Jahrestagung der ILGA-Europa zu verzeichnen war.

Die Tagung folgte im großen und ganzen wieder der bewährten Routine der letzten Jahre, es gab Podiumsdiskussionen, Workshops, Präsentationen und ein tolles Rahmenprogramm – neben dem Empfang im königlichen Theater ist besonders das Abschiedsdinner in den Officine Grandi Riparazioni (OGR) zu erwähnen. Dabei handelt es sich um einen riesigen, 1885–1895 erbauten, damals avantgardistischen Industriekomplex, in dem Eisenbahnwaggons und Lokomotiven repariert wurden. 1970 wurden die Werkstätten geschlossen. Nach umfangreichen Renovierungsarbeiten wurden sie nun für eine fantastische Ausstellung anlässlich des 150. Geburtstags des vereinten Italiens genutzt, den das Land 2011 beging. Turin war Italiens erste Hauptstadt. Die KonferenzteilnehmerInnen konnten diese wirklich beeindruckende Ausstellung Esperienza Italia 150° bei dieser Gelegenheit auch besichtigen.

Überhaupt gab es einige Jubiläen zu feiern. Die italienische Homosexuellenbewegung feierte ihr 40-jähriges und ILGA-Europa ihr 15-jähriges Bestehen. Eine der beiden traditionellen hochkarätigen Podiumsdiskussionen war dann auch der LSBT-Geschichte gewidmet. Auf dem Podium vertreten waren u. a. Jeff Dudgeon, der vor dreißig Jahren, 1981, den ersten einschlägigen Sieg vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg errungen hatte: Seiner Beschwerde gegen das Vereinigte Königreich war es zu verdanken, dass das Totalverbot homosexueller Handlungen in Nordirland als Verletzung der Europäischen Menschenrechtskonvention gewertet wurde. Dieses bahnbrechende Urteil hatte danach entsprechende Folgen auf andere Länder mit ähnlichen Gesetzesbestimmungen. Ein weiterer Diskutant war Angelo Pezzana, der 1971 die erste italienische Schwulenorganisation – FUORI! – mitgegründet hatte. Und in einer aufgezeichneten Videobotschaft sprach der dänische Pionier Axel Axgil (vgl. LN 5/2009, S. 19) zu den Delegierten. Tragisch: Am Tag darauf verstarb er 96-jährig in seiner Heimat.

 

Persönliches Jubiläum

Auch der Autor dieser Zeilen feierte ein – sehr persönliches – Jubiläum, nämlich 30 Jahre Teilnahme an ILGA-Tagungen. 1981 war ich das erste Mal auf einer Tagung der ILGA, es war ihre 3. Weltkonferenz. Und – was fast ein bißchen sentimentale Gefühle aufkommen ließ – sie fand damals ebenfalls in Turin bzw. in Torre Pellice, einem Luftkurort in den Bergen in der Nähe Turins, statt und wurde von der erwähnten FUORI! organisiert. Wir waren damals drei Leute aus der HOSI Wien und legten einen fulminanten Einstieg in die ILGA und ihre Arbeit hin. Die HOSI Wien bekam sofort den Zuschlag zur Abhaltung der 5. ILGA-Weltkonferenz 1983 in Wien. Und wir lancierten den Eastern Europe Information Pool (EEIP), der dann – noch vor dem Fall des Eisernen Vorhangs – federführend Kontakte zur aufkeimenden Schwulen- und Lesbenbewegung in Ost- und Südosteuropa bis 1990 knüpfte und unterhielt.

Turin war damals vor dreißig Jahren also der Beginn eines intensiven Engagements der HOSI Wien innerhalb der ILGA, das über diese drei Jahrzehnte hinweg angehalten hat. Die HOSI Wien hat in dieser Zeit in fast allen wichtigen Projekten der ILGA mitgearbeitet, ob bei der OSZE, der UNO, dem Europarat, bei der AIDS-Arbeit oder zu Beginn auch im ILGA-Leitungsgremium, dem sogenannten Sekretariatetreffen, das mit der Regionalisierung der ILGA aufgelöst wurde, und natürlich auch bei der Etablierung der ILGA-Europa. Und bekanntlich hält die HOSI Wien mit drei Welt-, einer Europa- und einer Osteuropa-Tagung den Rekord in Sachen Ausrichtung von ILGA-Konferenzen.

Seit 1981 habe ich regelmäßig an Tagungen der ILGA teilgenommen. Und ich habe jetzt nachgezählt: Es waren insgesamt allein 37 Welt- und Europa-Tagungen, auf denen ich die HOSI Wien vertreten habe – dazu kommen noch neun Osteuropatreffen und viele andere Spezialkonferenzen. Damit halte ich wohl unter allen AktivistInnen weltweit den Teilnahmerekord an ILGA-Tagungen, wiewohl es längerdienende Aktivisten gibt, die schon bei der Gründung der ILGA dabei waren und immer noch aktiv engagiert sind.

Natürlich ist nach so vielen Tagungen der Eindruck sehr subjektiv, denn klarerweise wiederholen sich die Themen, und vieles ist bekannt und nicht mehr sehr aufregend, aber dennoch habe ich das Gefühl, dass die Diskussionen auf den Tagungen der ILGA-Europa immer „glatter“ werden, es kaum mehr Kontroversen gibt bzw. zugelassen werden. Es gibt keine EU-kritische Stimmen – im Gegenteil: Die EU wird als Heilsbringerin in allen LSBT-Lebenslagen verkannt. Und wenn auf dem Podium eine altvordere Feministin wie Joke Swiebel ihre Skepsis an der (Homo-)Ehe und damit Kritik an der Heteronormisierung der Homosexualität äußert, kann es schon vorkommen, dass ich der einzige im Publikum bin, von dem sie spontanen Beifall bekommt…

ILGA-Europa-Tagungen spiegeln in vielerlei Hinsicht die Entwicklung der Bewegung wider und zeugen deutlich, wie sehr wir im gesellschaftlichen Mainstream angekommen sind. Äußere Zeichen sind da nicht nur der prominente Ehrenschutz oder die hochkarätigen Empfänge, sondern etwa auch der Umstand, dass die Konferenzen jetzt in Vier-Sterne-Hotels über die Bühne gehen. Das Jahresbudget des Verbands beläuft sich mittlerweile auf zwei Millionen Euro, und die 15 Jahre ihres Bestehens sind in der Tat eine einzige Erfolgsgeschichte gewesen, auf die die ILGA-Europa stolz sein kann und um die sie sicherlich viele NGOs in Brüssel beneiden.

2013 wird die Jahreskonferenz der ILGA-Europa in Zagreb stattfinden. Die kroatische Hauptstadt setzte sich gegen Kopenhagen durch, wofür sicherlich ausschlaggebend war, dass die Mitgliedsorganisationen nach sechs Jahren wieder nach Osteuropa „zurückkehren“ wollen (Wilna war 2007 der letzte Austragungsort in dieser Region) und die ILGA bisher noch nie in Kroatien tagte. Der Jahreskongress 2012 wird in Dublin stattfinden, was ja bereits 2010 entschieden wurde.