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Russland: Verbrechen gegen die Menschlichkeit gehen straflos weiter

Veröffentlicht am 29. Januar 2019

Am 21. Dezember 2018 veröffentlichte die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) ihren Bericht über Menschenrechtsverletzungen und deren Straflosigkeit in Tschetschenien. Auf Initiative von 16 OSZE-Staaten (Österreich war peinlicherweise nicht darunter) war der sogenannte „Moskauer Mechanismus“ aktiviert und im Zuge dessen der Grazer Völkerrechtler Wolfgang Benedek beauftragt worden, Berichte und Meldungen über Menschenrechtsverletzungen u. a. an Homosexuellen, Menschenrechtsverteidigern, NGO-AktivistInnen und unabhängigen JournalistInnen zu überprüfen. Viele dieser Fälle waren bereits zuvor durch die Arbeit des Europarats und der UNO dokumentiert worden. Benedek sprach mit Opfern der staatlichen Übergriffe sowie MitarbeiterInnen des russischen LSBT-Netzwerks (Российская ЛГБТ-сеть), das nach eigenen Angaben rund 135 Schwulen und Lesben die Flucht aus Tschetschenien ermöglichte. Rund 120 von ihnen konnten Russland verlassen und im Ausland um Asyl ansuchen.

Benedek bestätigt nunmehr in seinem Bericht die Informationen über systematische „Säuberungen“, die im Dezember 2016 sowie 2017 in drei Wellen erfolgten und bei denen es zu Folter, widerrechtliche Inhaftierung und Verschleppung von Schwulen und Lesben kam. Mehrere Personen überlebten die Folter nicht. Manche wurden erpresst und mussten sich freikaufen. Trotz entsprechender Aufforderung wurden die Vorfälle von russischer Seite nie ernsthaft untersucht. Die Peiniger und Erpresser aus den Reihen der Sicherheitskräfte wurden nie belangt und zur Verantwortung gezogen. Nach dem internationalen Aufschrei 2017 wurden die systematischen Säuberungen zurückgefahren, als Einzelfälle hörten sie aber nie auf.

Wie zur Bestätigung des OSZE-Berichts – manche BeobachterInnen meinen auch als bewusste provokante Antwort darauf – kam es Ende 2018 und im Jänner dieses Jahres zu einer neuerlichen Verfolgungswelle, bei der rund 40 LSBT-Personen verschleppt wurden, zwei von ihnen überlebten die Misshandlungen nicht, wie der britische Guardian am 14. Jänner 2019 berichtete.

Seit dem Ende der Nazi-Diktatur ist es in Europa zu keiner ähnlich systematischen und menschenrechtswidrigen Verfolgung sexueller Minderheiten gekommen. Aufgrund der Faktenlage und des Unwillens der russischen Regierung, diese Übergriffe aufzuklären und die Schuldigen zur Verantwortung zu ziehen, sollten endlich härtere Bandagen angelegt werden. Die Täter müssen vor ein internationalen Strafgericht zur Ahndung dieser Verbrechen gegen die Menschlichkeit gebracht werden.

Die nachgiebige Haltung der internationalen Staatengemeinschaft gegenüber Putin bestärkt diesen nur, immer dreister zu werden. Am 18. November 2013 hatte ich in einem Kommentar im Standard im Vorfeld der Olympischen Winterspiele in Sotschi 2014 angesichts der allgemein tristen Lage von Homosexuellen in Russland die Parallele zu den Spielen in Berlin 1936 gezogen und geschrieben: Weder das Internationale noch das Österreichische Olympische Comité sollte daher noch länger wegschauen und schweigen. Sie müssen aus Berlin 1936 die Lehren ziehen, sonst machen sie sich wieder mitschuldig! Sollte es ein paar Jahre nach Sotschi zu einer Art „Reichskristallnacht“ – diesmal gegen Lesben und Schwule – kommen, dann möchte man jedenfalls nicht in der Haut der IOC- und ÖOC-Funktionäre stecken.

Bekanntlich kam es noch schlimmer. Die Spiele in Sotschi waren kaum vorbei bzw. die Paralympics noch in vollem Gang, als Russland völkerrechtswidrig die Krim annektierte und in der Folge im ukrainischen Donbass einmaschierte und ein ziviles Passagierflugzeug abschoss. Die Appeasement-Politik des Westens hat Putin förmlich zu weiteren Provokationen ermutigt: Cyberattacken gegen demokratische Wahlen im Ausland, systematisches Doping bei allen größeren Sportveranstaltungen, Unterstützung des Mörderregimes in Syrien, staatlich beauftragter Giftmord usw. usf. Und die von mir damals befürchteten anti-homosexuellen Pogrome sind in Tschetschenien traurige Wirklichkeit geworden.

 

Keine Abschiebung nach Russland

Auf jeden Fall ergeben sich zwei dringende Forderungen an österreichische Stellen. Eine richtet sich an die österreichischen Asylbehörden. Benedeks dringenden Empfehlungen ist nachzukommen: LSBT-Flüchtlingen aus Tschetschenien ist politisches Asyl nach der Genfer Konvention zu gewähren, wobei auf ihre spezielle Lage Rücksicht zu nehmen ist. Neben sicheren Unterkünften, medizinischer und psychologischer Betreuung benötigen sie auch neue Identitäten, da sie andernfalls auch in den Aufnahmestaaten durch die tschetschenische Diaspora bedroht sind. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl muss als Erstinstanz endlich damit aufhören, Asylanträge von LSBTI-Flüchtlingen aus Tschetschenien mit dem Argument abzulehnen, diese seien ja in anderen Teilen Russlands vor Verfolgung sicher, zumal die zweite Instanz bereits vor Jahren dieses Argument ohnehin nicht gelten ließ und eine entsprechende Entscheidung aufhob. Es gibt für sie keine sichere innerstaatliche Fluchtalternative! LSBT-AsylwerberInnen aus Tschetschenien nach Russland abzuschieben hieße wohl in den meisten Fällen, sie in den sicheren Tod zu schicken.

 

Staatenbeschwerde gegen Russland

Bereits im Mai 2017 forderte die Homosexuelle Initiative (HOSI) Wien den damaligen Außenminister Sebastian Kurz auf, dafür zu sorgen, dass Österreich – am besten gemeinsam mit anderen Staaten – eine Staatenbeschwerde gemäß Artikel 33 der Europäischen Menschenrechtskonvention gegen Russland vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte einbringt und Entschädigungszahlungen für die Opfer erkämpft, die dieser Verfolgung durch Flucht entrinnen konnten und sich jetzt im Ausland oder anderen Teilen Russlands ein neues Leben aufbauen müssen. Die Aufnahmestaaten könnten bei dieser Gelegenheit von Russland auch Schadenersatz für die Asylkosten einklagen. Das wäre doch einmal ein innovativer Ansatz in Sachen Asyl!

Kurz blieb als Außenminister in dieser Frage völlig untätig. Und als Bundeskanzler verfolgt er eine völlig verfehlte Beschwichtigungspolitik gegenüber Russland, die er als Dialog und Brückenbau anpreist. Dabei merkt er offenbar gar nicht, dass er bloß ein nützlicher Idiot und speichelleckendes Schoßhündchen Putins ist, international eine echte Lachnummer. Wann sagen seine Hofschranzen dem Kanzler endlich, dass er hier nackt ist?

 

Anmerkungen:

Eine leicht gekürzte Fassung dieses Beitrags erschien auch in der Printausgabe des Standards am 29. Jänner 2019. Siehe auch hier.

Siehe auch meine früheren Beiträge in den LN 2/2017 und 3/2017.

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