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Unpopuläre Entscheidung auf den EuGH abgewälzt

Veröffentlicht am 9. Februar 2018
Am 5. Juni 2018 entschied der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) in einem rumänischen Fall, dass der Begriff „Ehegatte“ in der EU-Freizügigkeitsrichtlinie auch gleichgeschlechtliche EhegattInnen umfasst. In den LN 1/2018 berichtete ich im Vorfeld über diese Rechtssache und antizipierte – zu Recht – eine positive Entscheidung. Ich relativierte auch die mediale Übertreibung, dass es sich hier um eine neue historische Errungenschaft handeln würde – es ging ausschließlich darum, bestehendes EU-Recht auch in Rumänien durchzusetzen.

ROBERT CLABOURN HAMILTON und RELU ADRIAN COMAN kämpften darum, sich als Paar gemeinsam in Rumänien niederlassen zu können.

Der Gerichtshof der Europäischen Union, vulgo EuGH, entscheidet demnächst über die Auslegung des Begriffs „Ehegatte“ in der Richtlinie 2004/38/EG vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten. Konkret geht es darum, ob dieser Begriff auch einen gleichgeschlechtliche Ehegatten umfasst und die Mitgliedsstaaten daher aufgrund dieser Niederlassungsfreiheit einem gleichgeschlechtlichen Ehegatten eines EU-Bürgers eine Aufenthaltserlaubnis erteilen müssen oder nicht. Dies ist dann von Bedeutung, wenn der Ehegatte eines EU-Bürgers selber kein EU-Bürger ist, sondern Drittstaatsangehöriger ohne eigenes Recht auf diese Freizügigkeit innerhalb der EU.

Eigentlich ist die Richtlinie eindeutig und lässt nicht wirklich Spielraum für eine andere Auslegung als die, dass mit „Ehegatte“ sowohl der verschieden- als auch der gleichgeschlechtliche gemeint ist. Die Richtlinie musste bis 30. April 2006 von den Mitgliedsstaaten in nationales Recht umgesetzt werden. Dass es in den fast zwölf Jahren, seit die Richtlinie Gültigkeit erlangt hat, kein solches Verfahren gegeben hat, spricht wohl dafür, dass die Richtlinie überall korrekt umgesetzt worden ist (die EU-Kommission hätte andernfalls ein Vertragsverletzungsverfahren gegen das betreffende Mitgliedsland eingeleitet) und bisher in der Praxis korrekt angewendet worden ist.

Dass sich der rumänische Verfassungsgerichtshof, die Curtea Constituţională, nunmehr mit seinem Ersuchen um Vorabentscheidung dieser Frage an den EuGH wandte und trotz der eindeutigen Rechtslage nicht gleich selbst entschied, hat vermutlich rein innenpolitische Gründe. Man will den schwarzen Peter dem EuGH in Luxemburg zuschieben, hier geht es offenbar einmal mehr darum, die „Drecksarbeit“ von „Brüssel“, von der EU erledigen zu lassen, damit man vor dem heimischen Publikum nicht als „dafür verantwortlich“ dasteht. Kommt uns in Österreich ziemlich bekannt vor.

Und auch die rumänischen Gesetze sind im Prinzip eindeutig: § 259 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches bestimmt, dass eine Ehe eine „Verbindung zwischen einem Mann und einer Frau“ ist. § 277 Abs. 1 lautet: Ehen zwischen Personen desselben Geschlechts sind verboten. Und im Abs. 2 heißt es: Ehen zwischen Personen desselben Geschlechts, die im Ausland von rumänischen Staatsbürgern oder von Ausländern geschlossen oder eingegangen worden sind, werden in Rumänien nicht anerkannt.

Doch im selben Paragraf heißt es im Absatz 4 ausdrücklich: Die gesetzlichen Bestimmungen über die Freizügigkeit der Bürger der Mitgliedsstaaten der Europäischen Union und des Europäischen Wirtschaftsraums innerhalb des rumänischen Hoheitsgebiets bleiben anwendbar. Und das ist ohnehin eine No-na-ned-Bestimmung, denn EU-Recht schlägt immer nationales Recht.

Das heißt, in Wahrheit hat durch diesen Absatz 4 auch Rumänien die EU-Richtlinie korrekt umgesetzt. Denn diese verlangt ja nicht, dass ein Mitgliedsstaat, der noch keine Homo-Ehe hat, eine im Ausland geschlossene Homo-Ehe anerkennen muss, sondern einem gleichgeschlechtlichen Ehegatten gegebenenfalls eine Niederlassungsbewilligung erteilen muss, damit sein (EU-)Ehegatte das Recht auf Niederlassungsfreiheit uneingeschränkt ausüben kann.

 

Generalanwalt eindeutig

Am 11. Jänner 2018 legte Generalanwalt Melchior Wathelet nun seine Schlussanträge in dieser Rechtssache (C 673/16) vor und kommt darin zum erwarteten Ergebnis, dass der Begriff „Ehegatte“ in der Richtlinie auch den gleichgeschlechtlichen Ehegatten miteinschließt. Die Vorschläge des Generalanwalts sind nicht bindend, in den meisten Fällen schließt sich der Gerichtshof jedoch in seiner endgültigen Entscheidung der Meinung des Generalanwalts an. Mit dieser Entscheidung ist im Frühjahr zu rechnen.

Wiewohl etliche Medien bereits die Stellungnahme des Generalanwalts zum Anlass genommen haben, hier von einer richtungsweisenden „Landmark“-Entscheidung und einem großen Durchbruch für Lesben- und Schwulenrechte zu schreiben, ist festzuhalten, dass das Unsinn ist und hier keinerlei neuen Rechte entstehen, sondern bloß geltendes EU-Recht in diesem einen konkreten Fall eben auch in Rumänien durchgesetzt wird. Und das ist für die beiden Betroffenen, die seit fünf Jahren um die Durchsetzung dieses bestehenden Rechts kämpfen, wichtig genug.

 

Die Kläger

Bei den beiden Beschwerdeführern handelt es sich um RELU ADRIAN COMAN und ROBERT CLABOURN HAMILTON. Adrian ist langjähriger Schwulenaktivist sowohl in seiner Heimat Rumänien, als auch in den USA, wohin er auswanderte, als er eine der 55.000 jährlich in der Greencard-Lotterie der USA „ausgespielten“ Visa „gewann“. Inzwischen ist er auch US-Staatsbürger geworden. 2002 lernte er seinen späteren langjährigen Partner Clai kennen, mit dem er ab 2005 in New York zusammenlebte. 2009 übersiedelte Adrian nach Brüssel, um bis 2012 als Assistent einer rumänischen EU-Abgeordneten zu arbeiten, während Clai in New York blieb. Im November 2010 heirateten die beiden in Brüssel.

Im Dezember 2012 wandten sich Adrian und Clai an die rumänischen Behörden zwecks Ausstellung einer dauerhaften Aufenthaltsgenehmigung an Clai, damit sich dieser, der keine Staatsbürgerschaft eines EU-Landes besitzt, gemeinsam mit Adrian in Rumänien niederlassen könne. Vor genau fünf Jahren, im Jänner 2013, lehnte die zuständige Einwanderungsbehörde den Antrag ab. Adrian und Clai legten Rechtsmittel gegen den Bescheid ein und führen seither ein Verfahren durch alle rumänischen Gerichtsinstanzen, das schließlich beim Verfassungsgerichtshof gelandet ist. Und dieser legte die Sache im November 2016 dem EuGH vor.

Während die Entscheidung des EuGH für den Rest Europas also kaum Auswirkungen haben wird, stellt sie für Rumänien allerdings einen wichtigen Präzedenzfall dar. Bekanntlich leben und arbeiten ja rund 20 % der rumänischen Bevölkerung, also fast vier Millionen Menschen, in anderen EU-Ländern, darunter auch viele Lesben und Schwule. Und wenn diese in anderen EU-Ländern rechtliche Verbindungen zu Nicht-EU-BürgerInnen eingehen und dann eines Tages wieder in ihre Heimat zurückkehren wollen, dann ist es von wesentlicher Bedeutung, dass ihre PartnerInnen sie begleiten können.

 

Ähnlicher Fall 2004

Wir hatten übrigens in Österreich 2004 einen ähnlichen Fall. Damals konnte ein Deutscher eine Stelle bei einer internationalen Organisation nicht annehmen, weil die österreichischen Behörden seinem US-Ehemann LON WILLIAMS (die beiden hatten in den Niederlanden geheiratet) keine Niederlassungsbewilligung erteilten (vgl. LN 1/2005, S. 11 ff). Der österreichische VfGH weigerte sich damals (EU-rechtswidrig), die Sache dem EuGH zur Vorabentscheidung vorzulegen, und verwies die Sache an den Verwaltungsgerichtshof, der den negativen Bescheid der österreichischen Behörden aus formalen Gründen aufhob (vgl. LN 5/2006, S. 10). Da war es aber ohnehin längst zu spät. Der Job war weg. Hätte sich schon damals der EuGH mit der gegenständlichen Frage und Auslegung der Richtlinie befasst, wäre die Sache schon längst klargestellt worden.

 

Nachträgliche Anmerkungen:

Wer sich näher für die Sache interessiert: Das endgültige Urteil in der Rechtssache C 673/16 liegt natürlich auch in deutscher Übersetzung vor.

Wer die Argumente weniger juristisch ausgefeilt und allgemein verständlicher lesen möchte, kann dies in der Eingabe der HOSI Wien vom 2. Jänner 2006 an den Verwaltungsgerichtshof in der Beschwerde Lon Williams’ tun.