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Die ÖVP muss weg – die 2.!

Erschienen am 12. September 2013

Obgleich es wohl immer eine Illusion war, dass eine politisch bewusste Mehrheit von Lesben und Schwulen ihre Stimme bei Nationalratswahlen homofreundlichen Parteien geben würde, konnte man früher doch davon ausgehen, dass zumindest eine wahlentscheidende Minderheit unter ihnen dazu motiviert werden konnte, ihre Stimme im Interesse ihrer sexuellen Orientierung abzugeben. 2008 war wohl die letzte Nationalratswahl, bei der dies vielleicht noch einigermaßen funktionierte. Doch nach der Einführung der eingetragenen Partnerschaft (EP) 2010 lässt sich 2013 mit dem Homo-Thema allein wohl kaum noch jemand in diesem Sinne mobilisieren. Daher haben wir auch in den LN beschlossen, anders als in den 35 Jahren davor, heuer auf eine wahlspezifische Berichterstattung gänzlich zu verzichten.

Sicherlich: Es gibt keine völlige Gleichstellung mit der Ehe, wobei für mich dies ohnehin fragwürdig ist, was ich ja – nicht zuletzt an dieser Stelle – immer wieder betont habe. Es mutet ja inzwischen ziemlich sektiererisch und dogmatisch an, wie ein Teil der LSBT-Bewegung immer noch um den letzten Punkt und Bindestrich eifert. Wie vieles in der zeitgenössischen Politik kommt mir dieser K(r)ampf – ohne gleich in Verschwörungstheorien zu verfallen – als Beschäftigungstherapie und als Ablenkungsmanöver vor, um uns vom Stellen und ernsthaften Verfolgen viel wesentlicherer Fragen und wichtigerer Forderungen abzuhalten. Und es droht ja auch bei uns nicht wirklich die Gefahr, dass Errungenschaften wie die EP unter einer rechten Regierung wieder rückgängig gemacht werden. Das ist nirgends passiert – weder in Deutschland noch in Großbritannien, Spanien, Portugal oder Ungarn.

Insofern kommt mir auch die aktuelle „Lieblingsstellung“-Kampagne der Grünen ziemlich anachronistisch vor – wie aus der Steinzeit der LSBT-Bewegung. Nicht nur Lesben- und Schwulenorganisationen müssen sich auf veränderte Verhältnisse einstellen, wollen sie nicht in der Bedeutungslosigkeit versinken – auch politische Parteien sollten ihre Botschaften den aktuellen Entwicklungen und Fragestellungen anpassen. Fortschritte wie die EP kann man doch nicht völlig ignorieren – und einfach so weitermachen wie zuvor!

Für mich bedeutet die EP-Einführung 2010 jedenfalls insofern eine Zäsur, als sich die Frage der Gleichstellung ab nun nicht länger mehr so brennend zwischen homo und hetero stellt, sondern zwischen ganz anderen akuten Polen, etwa arm und reich. Sicher: Auch früher spielten soziale Herkunft, Vermögen oder eben der Klassenunterschied eine Rolle dabei, wie man die eigene homosexuelle Orientierung ausleben konnte. Doch die sexuelle Orientierung tritt als „Diskriminierungs“- im Sinne von „Unterscheidungs“-Merkmal heute immer mehr in den Hintergrund, dafür aber die Kategorie „Klasse“ viel stärker in den Vordergrund – nicht zuletzt aufgrund der Auswirkungen der zwei vergangenen neoliberalen Jahrzehnte und der Krise. Daher sollten wir uns – wie in der Geschlechterfrage (Stichwort: neuer neoliberaler Feminismus bzw. Elitefeminismus) – schleunigst mit dem Gedanken anfreunden, dass eine Single-issue-Einengung auf Gerechtigkeit in LSBT-Fragen, ohne etwa die Forderung nach Einkommens- und Vermögensgerechtigkeit zu stellen, die LSBT-Bewegung eher früher als später gesellschaftlich und politisch – zu Recht – isolieren wird. Und auch für AktivistInnen wird das scheuklappenartige Bearbeiten des LSBT-Themas allein, ohne nach links und rechts zu schauen, was sonst noch in der Welt vor sich geht, nicht abendfüllend, sondern ziemlich langweilig werden.

Entfesselter Klassenkampf

Soziale Gerechtigkeit wird gerade in unserer postwohlfahrtsstaatlichen Gesellschaft noch an Bedeutung gewinnen. Die Linke scheut sich, in diesem Zusammenhang das Wort „Klassenkampf“ in den Mund zu nehmen, weil es so diskreditiert ist und die Leute in Panik versetzt. Dafür haben die Rechte und die bürgerlichen Medien – und andere gibt es ja leider in Österreich nicht mehr – gesorgt. Dabei hat die Rechte selber diesen Klassenkampf in den letzten Jahrzehnten ziemlich unverschämt und intensiv geführt – man braucht sich ja nur die Statistiken ansehen, wie in diesem Zeitraum eine gigantische Umverteilung des Vermögens in Österreich von unten nach oben erfolgt ist. Und was ist es anderes als Klassenkampf pur, wenn ÖVP-PolitikerInnen im Wahlkampf eine Sozialschmarotzerdebatte gegen die EmpfängerInnen der Mindestsicherung, die Ärmsten der Armen, führen, während sie den Steuerschutzmantel über die Superreichen und Reichen breiten? Dabei stehen die diesbezüglichen Sozialausgaben in keinem Verhältnis zu dem Vermögen, das die reichsten zehn Prozent in den letzten Jahren an sich gerafft haben und wofür sie überhaupt keine Steuer zahlen müssen.

Die ÖVP möchte auch Österreichs „abgesandelte“ Wirtschaft, in der ArbeitnehmerInnen immer noch Rechte haben und nicht komplett wie Sklaven behandelt werden können, „entfesseln“. Das letzte Mal, als die (Finanz-)Wirtschaft entfesselt, dereguliert, wurde, hatte dies u. a. zur Folge, dass die SteuerzahlerInnen dieser Welt rund 5000 (!) Milliarden (!) Euro zur Rettung der Banken aufbringen mussten oder dass jetzt die Deutsche Bank & Co an der Börse auch mit Grundnahrungsmitteln spekulieren dürfen, wodurch auf diesem Planeten hunderte Millionen Menschen zusätzlich hungern müssen.

An meiner Parteienpräferenz und Wahlentscheidung ändert daher der nach 2010 erforderliche Perspektivenwechsel gar nichts: Die ÖVP steht nicht nur für die Fesselung von (LSBT-)Menschenrechten, sondern eben auch für die neoliberale Entfesselung der Wirtschaft und ist daher für mich doppelt unwählbar. Die anderen rechten Parteien ebenfalls. Mit Schrecken denke ich an die sieben verlorenen Jahre der schwarz-blau-orangen Regierungen unter Wolfgang Schüssel 2000–2006 zurück, die noch dazu die korruptesten waren, die das Land je hatte.

Das Spektrum für mich wählbarer Parteien ist sehr klein, speziell da ich diesmal meine Stimme nicht an eine für mich wählbare, aber chancenlose Partei (wie etwa die KPÖ) „verschwenden“ möchte. Die Grünen sind zweifellos sehr sympathisch, nicht zuletzt auch durch ihre weiße Weste in Sachen Korruption. Und obwohl sie auch für meinen Geschmack die sozialen Fragen zu wenig bearbeiten, wären sie für mich durchaus wählbar. Der einzige Makel ist jedoch, dass sie eine Koalition mit der ÖVP (wie etwa die SPÖ mit der FPÖ) von vornherein nicht kategorisch ausschließen. Die Vorstellung, eine schwarz-grüne Regierung mitgewählt zu haben, ist für mich einfach ein Horror, weshalb die Grünen meine Stimme nicht bekommen, solange sie keine Garantie abgeben, nicht mit der ÖVP zu koalieren.

Im übrigen bin ich der Meinung, dass 26 Jahre ÖVP ununterbrochen in der Bundesregierung genug sind!

Que(e)rschuss LN 4/2013