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Berufsschwuchteln, Kinderschänder
und das Recht auf Meinungsfreiheit

Erschienen am 7. März 2008

Dieses zum UNICEF-Foto des Jahres gewählte Bild zeigt die elfjährige Ghulam Haider in Afghanistan, die an den 40-jährigen Faiz Mohammed zwangsverheiratet wurde. Millionen Mädchen vor allem in asiatischen, afrikanischen und/oder islamischen Staaten teilen ein ähnliches Schicksal.

Da war Life-Ball-Organisator GERY KESZLER wirklich schlecht beraten, dass er sich dazu hinreißen ließ, einen gewissen Dimitrij Grieb wegen Ehrenbeleidigung zu klagen, weil ihn dieser in Andreas Mölzers Rechtsaußen-Postille Zur Zeit (# 29–30 vom 20. 7. 2007) als „Berufsschwuchtel“ bezeichnet hatte. Sicher: Grieb hat das nicht freundlich gemeint, aber deswegen müssen wir Schwule, die wir das Wort „Schwuchtel“ ja auch oft und gerne verwenden, diese Leute ja keineswegs darin bestärken, dass es angeblich ein beleidigendes Schimpfwort sei. Hier zu klagen bedeutet daher, unseren GegnerInnen, die sich die Bedeutungsmacht über bestimmte Begriffe aneignen und sie dabei bewusst negativ besetzen wollen, in die Falle zu gehen und sie dadurch in ihrer pejorativen Absicht zu bestärken. Und in der Verbindung mit „Beruf-“ klingt es für mich sowieso noch positiver, wie etwa „Berufsdemonstrant“ – da macht jemand eine Sache zu seinem Beruf, zu seiner Berufung!

Keszler hat den Prozess in erster Instanz – völlig zu Recht – verloren. Solche Aussagen müssen einfach unter das Recht auf freie Meinungsäußerung fallen. Alles andere wäre ein Justizskandal. Mit seiner Klage hat sich Keszler, dessen Verdienste im Kampf gegen AIDS und auch um die schwul-lesbische Sache ja ohnehin völlig unbestritten sind, ein Eigentor geschossen. Aber ganz abgesehen davon: Typen wie Grieb sind einfach nicht satisfaktionsfähig und können einen doch gar nicht beleidigen, daher sollte man sie nicht einmal ignorieren. Gewinnt man, macht man sie zu Märtyrern; verliert man, verhilft man ihnen ungewollt zu einem Triumph.

In derselben Glosse schrieb Grieb damals übrigens auch: „Als fixer Bestandteil der Wiener ‚Event-Kultur‘ gilt mittlerweile auch die Regenbogenparade, wobei auf der Ringstraße dummdreisten Gaffern Tunten ihre Gesäße ins Gesicht stecken dürfen.“ Sic! Die HOSI Wien hätte nicht im Traum daran gedacht, darauf überhaupt zu reagieren! Peinlich und über die Maßen lachhaft ist ja dabei vor allem, wie diese deutschtümelnden Figuren – mit denen die ÖVP übrigens sieben Jahre gemeinsam regiert hat (das sollte man nie vergessen!) – ständig mit der deutschen Sprache auf Kriegsfuß stehen: Tunten stecken ihre Gesäße Gaffern ins Gesicht. – ? Hm? Wie soll denn das, bitte, gehen? Man kann jemandem etwas in den Mund stecken, aber ins Gesicht? Und gleich ganze Gesäße!

Sicherlich war es gut gemeint von den grünen und roten UnterstützerInnen, die Gery Keszler reflexartig zur Seite sprangen und die Richterin für deren Verteidigung der Menschenrechte kritisierten, aber gut gemeint ist bekanntlich oft das Gegenteil von gut.

Denn wann begreift man endlich, dass diese Typen nur provozieren, um öffentlich wahrgenommen zu werden? Daher wirklich: einfach ignorieren und nicht ihr provokantes Geschäft besorgen! Dann kommen auch ihre GegnerInnen nicht in Verlegenheit, als DemokratInnen auch die Menschenrechte dieser Wappler verteidigen zu müssen. Typisches Beispiel dafür war ja auch die Aussage der FPÖ-Spitzenkandidatin Susanne Winter im Grazer Wahlkampf über den Islamstifter und Propheten Mohammed: „Er als 50-Jähriger hat ein sechsjähriges Mädchen geheiratet, im heutigen System ist dieser Mohammed ein Kinderschänder.“ Apart, ja bizarr, dass danach eine theologisch-historische Diskussion losbrach, ob das Mädchen nicht „eh schon“ neun bzw. 13 Jahre alt gewesen sei. Als ob das nicht wurscht wäre, denn – und da muss man Winter recht geben – heute wäre das bei uns so oder so Missbrauch, denn auch eine Heirat mit einer 13-Jährigen ist gesetzlich nicht möglich.

 

„Iran ist ein Kinderschänderparadies“

Natürlich hat Winter diese Provokation nur vom Stapel gelassen, um Ausländerfeindlichkeit zu schüren und Stimmen zu maximieren. Aber warum müssen deswegen alle reflexartig den Islam in Schutz nehmen und damit einfach nonchalant über die Millionen minderjähriger Mädchen in islamischen Ländern hinwegsehen, die mit weitaus älteren Männern zwangsverheiratet werden? Und natürlich muss die Anzeige gegen Winter wegen Herabwürdigung religiöser Lehren im Sand verlaufen, denn aufgrund solcher Aussagen wegen Blasphemie strafrechtlich verfolgt zu werden wäre ebenfalls ein Skandal in einem Rechtsstaat.

Ich verstehe auch nicht, warum gerade VertreterInnen von SPÖ und Grünen sich nicht inhaltlich mit diesen Fragen auseinandersetzen oder aus diesem Anlass endlich die Abschaffung des Blasphemie-Paragrafen in Angriff nehmen und stattdessen auf Frau Winter verbal einprügeln, die man nun wirklich nicht weiter beachten muss. Für besonders verwerflich halte ich diese falsch verstandene Solidarität mit einer mehr als fragwürdigen Religion und ihren noch fragwürdigeren Repräsentanten, weil man damit auch den Kritikern und insbesondere den Kritikerinnen dieser Religion in den Rücken fällt. Denn im Grund vertreten auch Feministinnen und fortschrittliche Menschen aus den islamischen Staaten dieselbe Meinung wie Susanne Winter – beispielsweise Ayaan Hirsi Ali, die niederländische Islamkritikerin somalischer Herkunft (vgl. auch LN 2/2006, S. 26).

Oder die deutsch-iranische Schauspielerin Jasmin Tabatabai (Fremde Haut, 2005, vgl. LN 5/2005, S. 28), die in der ARD-Kultursendung titel thesen temperamente vom 19. August 2007 meinte: „Es ist eine Tragödie, was im Iran passiert ist. Grund, warum ich diesen Film gedreht habe, war, dass der Iran zu den letzten Ländern gehört, in denen Homosexualität unter Todesstrafe steht. Das finde ich ein absolutes Unding. Das ist ein Land, in dem neunjährige Mädchen verheiratet werden können. Es ist also ein Kinderschänderparadies. Die Zeugenaussage von Frauen gilt nur halb so viel wie die von Männern. Das Schlimmste aber ist, dass die Steinigung wieder eingeführt und praktiziert wird. Die Steinigung ist ein im Mittelalter ausgesprochenes grausames Ritual und sie wird tatsächlich im Iran praktiziert, dem Land, in dem ich aufgewachsen bin.“

Besonders pervers ist ja in diesem Zusammenhang, dass sich Lesben- und Schwulenorganisationen, die beratenden Status bei der UNO erhalten möchten (vgl. zuletzt LN 1/2007, S. 24), bei ihrer Anhörung in den zuständigen Gremien ausgerechnet von Vertretern dieser islamischen Staaten, die Mädchen ab neun Jahren zur Heirat freigeben, „grillen“ lassen müssen, wie sie denn zur Pädophilie stünden!

Für mich werden nicht zuletzt wegen solcher windelweicher Haltungen gegenüber den Religionen Grüne und SPÖ immer unwählbarer. Den Einfluss aller Kirchen auf das gesellschaftliche Leben radikal zu beschneiden und alle Religionen ins rein Private zurückzudrängen (und das muss wirklich heißen: Glaubens- und Religionsausübung hat reine Privatsache zu sein!) sind für mich vordringliche und wichtige Aufgaben einer für mich wählbaren Partei. Sie muss ohne Wenn und Aber das Recht auf Meinungsfreiheit und Religionskritik, sei es durch Karikaturen oder „blasphemische“ Kunst oder durch andere Formen der Meinungsäußerung, verteidigen.

Im übrigen bin ich der Meinung, dass 25 Jahre rechte Mehrheit im Nationalrat und 22 Jahre ÖVP in der Regierung genug sind.*

* Dieser Satz soll ab jetzt, solange er zutrifft, das Ceterum censeo dieser Kolumne bleiben.

 

 

Que(e)rschuss LN 2/2008

Nachträgliche Anmerkungen

Dimitrij Grieb wurde im Juni 2009 in zweiter Instanz doch noch wegen Beleidigung (§ 115 StGB) verurteilt.

2019 wurde Grieb Büroleiter bei der Dritten Nationalratspräsidentin Anneliese Kitzmüller (FPÖ).

Susanne Winter wurde im Jänner 2009 in erster Instanz am Straflandesgericht Graz wegen Herabwürdigung religiöser Lehren und Verhetzung verurteilt. Das Urteil bzw. Strafmaß wurde im Juni 2009 durch die zweite Instanz, das Oberlandesgericht Graz, bestätigt. Zwei der „strafgebenden Fakten“, also inkriminierten Äußerungen, wurden jedoch fallengelassen. Welche es konkret waren, ging damals aus den Zeitungsberichten nicht hervor. Jedenfalls ein Wahnsinn, dass der Gotteslästerungsparagraph (188 StGB) immer noch angewendet wird – höchste Zeit, ihn abzuschaffen.

Winter kündigte damals an, die Angelegenheit vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu bringen. Mir ist darüber nichts Näheres bekannt. Falls sie es getan hat, stehen ihre Chancen vermutlich schlecht, denn im Oktober 2018 wurde eine unfassbare und offenkundig politisch motivierte Entscheidung des EGMR in einem ähnlich gelagerten Fall bekannt.

Da hilft nur mehr ziviler Ungehorsam und Widerstand. Ich sage daher an dieser Stelle ebenfalls: Wenn ein Erwachsener mit einem neunjährigen Mädchen eine sexuelle Beziehung hat, ist er ein Kinderschänder, auch wenn er ein Religionsstifter ist. Basta!

Ich hätte mir jedenfalls nie träumen lassen, dass ich einmal Figuren wie Dimitrij Grieb und Susanne Winter in ihrem Menschenrecht auf freie Meinungsfreiheit verteidigen muss, aber wer – wie ich – dieses Recht auch selbst in Anspruch nehmen will (vgl. Affäre Tancsits), muss es bedingungslos und ohne Ansehen der Person auch für andere verteidigen.

Siehe auch meine Kolumne in den LN 3/2008.