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Beitrag im deutschen Schwulenmagazin hinnerk Nr. 1/2006

Klassisches Eigentor

Veröffentlicht am 1. Januar 2006
In einem Beitrag für hinnerk, „das schwule Magazin im Norden“, fasste ich die Kirchenskandale in Österreich in den 1990er und 2000er Jahren zusammen. Das Heft widmete sich schwerpunktmäßig dem aktuellen Dokument Papst Benedikts XIV., in dem dieser sich mit der Frage beschäftigte, ob schwule Männer Priester werden dürfen.

Österreich war im letzten Jahrzehnt mehrfach Schauplatz „homosexueller Kirchenskandale“. Am heftigsten erschütterte der Fall Groër die römisch-katholische Amtskirche des Landes: Im Frühjahr 1995 berichtete das Nachrichtenmagazin profil über Josef Hartmann, einen ehemaligen Zögling des Priesterseminars in Hollabrunn, der 20 Jahre zuvor von seinem damaligen Lehrer Hans Hermann Groër – mittlerweile zum Wiener Erzbischof aufgestiegen – sexuell missbraucht worden war. Seither muss man die neuere Kirchengeschichte in die Zeit vor und nach der Groër-Affäre einteilen, denn sie sollte in mehrfacher Hinsicht zu einer Zäsur, ja einem Paradigmenwechsel führen.

Zum einen wurde deutlich, dass die Amtskirche kritische Medien offenkundig nicht mehr so einfach wie früher zum Schweigen bringen konnte. In der Zeit vor der Groër-Affäre hätte wohl ein Anruf aus dem erzbischöflichen Sekretariat beim Chefredakteur oder den Eigentümern einer Zeitung oder beim ORF-Generalintendanten genügt, um die Veröffentlichung einer solchen Story zu verhindern. Das funktionierte nicht mehr. Ein unerhörter Machtverlust für die Kirche!

Zum anderen waren jetzt Missbrauchsopfer bereit, ihr Schweigen zu brechen. Das gesellschaftliche Klima hatte sich soweit verändert, dass Betroffene nicht mehr aus Angst vor den möglichen negativen Redaktionen der Umwelt von vornherein kapitulierten. Auch im Fall Groër blieben diese nicht aus: Kirchenvertreter und Boulevardzeitungen, die normalerweise keine Sympathien für Kinderschänder hegen, schwangen sich zu Groërs Verteidigern auf und machten Hartmann zum Täter, der einen kreuzbraven Kirchenmann übel verleumdete. Kein noch so dummes Argument, kein noch so plumpes Ablenkungsmanöver blieb der Öffentlichkeit erspart.

Schon damals wirkten die Unschuldsplädoyers der Medien indes wenig überzeugend, kamen angesichts der Faktenlage als Pflichtübung daher – die unterschwellige Botschaft lautete vielmehr: Selbst wenn die Anschuldigungen stimmten, sollte die Sache vertuscht werden, um einer Institution wie der Kirche nicht zu schaden. Aber es war zu spät: Was hängen blieb, waren die Doppelmoral, Heuchelei und Perfidie der katholischen Kirche, wie sie auch in anderen Fragen zum Ausdruck kamen. Die Plattform „Wir sind Kirche“ konnte in der Folge für ihr Kirchenvolksbegehren über eine halbe Million Unterschriften sammeln.

Für die schwulen Würdenträger bedeutete die Affäre Groër ebenfalls eine Zeitenwende. Während zuvor Angehörige des Klerus ihre Homosexualität durchaus locker ausleben konnten und es auch taten, weil sie eben tabu war und sie sicher sein konnten, dass niemand sie öffentlich thematisieren würde, war dies nun mit einem Schlag vorbei. Jetzt zeigte sich auch, welch arges Eigentor sich die katholischen Kleriker mit ihrer antihomosexuellen Dogmatik geschossen hatten. Über Nacht waren sie zu Hauptleidtragenden ihrer homophoben Hasspredigten geworden.

Für beides steht auch der Fall Groër exemplarisch: Seine homosexuellen Neigungen waren in den 1980er Jahren längst stadtbekannt und sogar Gegenstand spöttischer Anspielungen in Kabarett und Film (in einer Szene sah man sogar zwei Ministrantenbuben unter „seinem“ bischöflichen Rock verschwinden). Alle lachten darüber, niemand schien sich daran zu stoßen. Dass Pfarrer häufig schwul waren, war Allgemeingut in der Bevölkerung. Noch heute rätseln viele, welcher Teufel Groër geritten haben mag, als er 1995 in einem Hirtenbrief die Homosexualität scharf verurteilte und warnte, Knabenschänder würden das Himmelreich nicht sehen. Dieser Hirtenbrief war ja Hartmanns Motiv, den 20 Jahre zurückliegenden Missbrauch überhaupt öffentlich zu machen.

In der Zeit nach der Groër-Affäre war es jedenfalls für den Klerus mit dem lockeren und gemütlichen Ausleben der eigenen Homosexualität vorbei. Das merkte man unmittelbar in allen einschlägigen Saunen und Lokalen, wo sich die Priester immer seltener blicken ließen.

Der im Juli 2004 aufgeflogene Skandal im Priesterseminar St. Pölten bestand eigentlich aus zwei Skandalen: Einerseits fanden sich auf einem Computer des Seminars 40.000 pornografische Fotos, darunter viele mit Kindern – und das war strafrechtlich relevant, da in Österreich auch der Besitz kinderpornografischer Abbildungen strafbar ist. Andererseits veröffentlichte profil kompromittierende Fotos, die den Regens und den Subregens des Seminars in eindeutig zweideutigen Situationen mit Seminaristen zeigten. Verantwortlich für das Priesterseminar war ausgerechnet Bischof Kurt Krenn, der nicht nur als extremer Hardliner vielen Österreichern den Glauben an die römisch-katholische Kirche ausgetrieben hat, sondern seinerzeit auch zu Groërs eifrigsten Verteidigern zählte. Die Vorfälle in seinem Priesterseminar bezeichnete Krenn als „Bubendummheiten“. Wie Groër musste er aber bald darauf sein bischöfliches Palais räumen. Die Politik Papst Johannes Pauls II., alle freiwerdenden Bischofssitze in Österreich mit reaktionären Würdenträgern zu besetzen, hatte sich einmal mehr als Katastrophe erwiesen.

Während die Medien trotz – oder vermutlich sogar wegen – ihres weitverbreiteten Verteidigungsreflexes die Affäre Groër korrekterweise doch in erster Linie als Missbrauchsfall bzw. als Ausnutzung eines Autoritätsverhältnisses darstellten, ohne den Aspekt der Homosexualität zu sehr hervorzukehren, wurden in der Berichterstattung über den St. Pöltner Fall Homosexualität, Kinderpornografie und Pädophilie wild miteinander vermischt. Da alle Beteiligten erwachsen waren, waren die möglichen homosexuellen Verhältnisse strafrechtlich völlig irrelevant. Für die breite Öffentlichkeit waren sie allenfalls deshalb von Interesse, weil sie illustrierten, wie weit die postulierte Glaubenstheorie und die gelebte Praxis im Priesterseminar auseinanderklafften.

Dass der Skandal von St. Pölten jetzt als eine Begründung dafür herhalten muss, weshalb Homosexuelle nicht mehr Priester werden dürfen, stellt natürlich eine Fortsetzung der vatikanischen Perfidie und Doppelmoral dar, die nicht nur selbst ein Skandal sind, sondern unter Garantie bloß weitere Skandale produzieren werden. Erst wenn Homosexualität von der Kirche nicht mehr geächtet wird, wird es keine „schwulen Kirchenskandale“ mehr geben!