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Beitrag in Stimme von und für Minderheiten Nr. 54

Lesben und Schwule haben wenig Grund zu feiern

Veröffentlicht am 1. April 2005
In ihrer Ausgabe Nr. 54 (Frühjahr 2005) widmete sich die STIMME von und für Minderheiten, die Zeitschrift der Initiative Minderheiten, schwerpunktmäßig dem „Gedankenjahr" 2005, in dem 60 Jahre Zweite Republik und 50 Jahre Staatsvertrag gefeiert werden sollten. Lesben und Schwule hatten indes wenig Grund zu feiern.

Bis heute sind in der Logik von FPÖ und ÖVP Homosexuelle und Deserteure also gewöhnliche Kriminelle, die ihre Inhaftierung und Ermordung im KZ offenbar rechtmäßig verdient haben. Es ist höchste Zeit, dass ÖVP und FPÖ diesen Resten nationalsozialistischen Gedankenguts abschwören.

Wie die Zweite Republik mit den homosexuellen Opfern des Nationalsozialismus nach der Befreiung vom NS-Regime umgegangen ist und wie sie mit ihnen und den nachgeborenen Generationen von Lesben und Schwulen bis heute immer noch umgeht, zeigt nicht nur, dass der Ungeist von damals teilweise ungebrochen bis heute weiterlebt, sondern wirft die Frage auf, ob und in welcher Form sich diese Gruppe – und andere in ähnlicher Situation – in diese Feierlichkeiten überhaupt einzuklinken vermag.

Wobei erschwerend hinzukommt, dass in diesem „Jubeljahr“ ausgerechnet jene zwei Parteien an der Regierungsmacht sind, die für diese Zustände wesentlich verantwortlich sind, und man zudem den Verdacht nicht los wird, dass diese Regierung die Jubiläumsfeiern zur Bejubelung ihres eigenen fünfjährigen Wirkens missbrauchen und dabei ganz allgemein die Geschichte trivialisieren will – wie nicht zuletzt die geplanten lächerlichen und oberflächlichen Event-Happenings im Rahmen der „25 Peaces“-Aktion befürchten lassen.

Ein zweifaches Ablenkungsmanöver scheint damit beabsichtigt. Die Fokussierung auf 1945 als Stunde Null blendet die Ursachen aus: 1934, den Austrofaschismus, den Anschluss Österreichs, den Angriffskrieg Hitler-Deutschlands, die Konzentrationslager, den Holocaust, die breite Unterstützung der Nazi-Ideologie in der Bevölkerung usw. Da soll offenbar die Aufbaugeneration gefeiert werden – bei der es sich in Wahrheit um genau dieselbe „Zerstörungs“-Generation handelt, die eigentlich die Hauptverantwortung dafür trug, dass zehn Jahre davor die Nazis an die Macht kommen konnten, was zu Weltkrieg, Massenmord und Massenvertreibung führte.

Aber wenn man sich mit der Vorgeschichte der Gründung der Zweiten Republik vor 60 Jahren und der Unterzeichnung des Staatsvertrags vor 50 Jahren nicht beschäftigt, besteht auch wenig Gefahr, dass sich die Parallelen zwischen damals und 1999 aufdrängen, als die Haider-FPÖ mit hemmungslosem Populismus, Antisemitismus und mit Ausländerfeindlichkeit und Demagogie zweitstärkste Partei wurde und mit der Schüssel-ÖVP, die drittstärkste geworden war und für diesen Fall eigentlich versprochen hatte, in Opposition zu gehen (wohl eine der größten Wählertäuschungen seit 1945), eine Regierung bildete.

Allein schon wegen dieser Absichten muss man der Regierung dicke Gedanken-Striche durch ihre Gedankenjahrs-Rechnung machen.

 

Gedanken-Striche

Keine Frage: Auch für Österreichs Lesben und Schwule bedeutete 1945 eine Zäsur. Die forcierte Verfolgung, die sich durch die massive Zunahme von Verfahren und Verurteilungen zwischen 1938 und 1945 manifestierte, und die Verschleppung in Konzentrationslager waren vorbei, aber dennoch galt das im § 129 I b öStG festgeschriebene Totalverbot der weiblichen und männlichen Homosexualität, wie es auch vor 1938 bestanden hatte, weiter. Wer von den Nazis „nur“ ins Gefängnis gesteckt worden war, kam nach dem Ende des NS-Regimes nicht unmittelbar frei, sondern musste seine Strafe in der Regel bis zum Ende absitzen. Noch bis 1971 wurden Frauen und Männer wegen einvernehmlicher homosexueller Handlungen unter Erwachsenen weiterhin in die Kerker der Zweiten Republik gesteckt, in nicht seltenen Fällen standen sie in den ersten Nachkriegsjahren vor denselben Richtern, die sie auch schon während der Nazi-Zeit verurteilt hatten!

Es überrascht daher auch nicht weiters, dass jenen Häftlingen, die wegen ihrer Homosexualität ins KZ verschleppt wurden – wo sie ein rosafarbenes Stoffdreieck als spezifisches Erkennungszeichen auf ihrer Häftlingskleidung tragen mussten – und das KZ überlebten, nach dem Krieg kein Anspruch auf Entschädigung nach dem Opferfürsorgegesetz (OFG) zugestanden wurde. Alle diesbezüglichen Anträge von Rosa-Winkel-Häftlingen sind – bis heute – von den zuständigen Stellen unter Hinweis auf die mangelnde Rechtsgrundlage abgelehnt worden.

Während weibliche Homosexualität in Deutschland nicht verboten war, wurden in der „Ostmark“ auch zwischen 1938 und 1945 nach § 129 I b öStG Frauen wegen homosexueller Handlungen ins Gefängnis gesperrt. Es gibt allerdings keine Belege dafür, dass wegen Homosexualität verurteilte Frauen aus der „Ostmark“ in die KZ verschleppt wurden. Jedoch sind Fälle bekannt, dass lesbische Frauen sehr wohl aus anderen Gründen in KZ-Haft kamen. Insbesondere wenn sie als gesellschaftlich unangepasste Frauen oder sonstwie – etwa als Prostituierte oder Arbeitsverweigerinnen – „auffällig“ wurden, konnte es geschehen, dass sie als so genannte „Asoziale“ in einem KZ inhaftiert wurden, wo sie den schwarzen Winkel dieser Häftlingsgruppe – und nicht wie homosexuelle Männer den rosa Winkel – tragen mussten.

Selbst die Haftzeit wurde den wegen ihrer Homosexualität im KZ Inhaftierten in der Regel nicht als Ersatzzeit auf die Pension angerechnet – im Gegensatz zu ihren SS-Bewachern, deren „Dienstzeit“ im KZ sehr wohl als Versicherungszeit für die Pension berücksichtigt wurde. Nur in einem einzigen Fall wurde einem Rosa-Winkel-Häftling nach einem sieben Jahre dauernden Verfahren vor der Pensionsversicherungsanstalt und nach Intervention der Volksanwaltschaft und des damaligen Bundeskanzlers Franz Vranitzky die sechsjährige KZ-Haft als Ersatzzeit auf die Pension angerechnet.

 

„Rechtmäßige“ Urteile?

Im Gegensatz zum deutschen Bundestag hat sich der Nationalrat auch nie in einer Entschließung bei den homosexuellen Opfern des NS-Regimes entschuldigt. Die Verurteilungen aus der Nazi-Zeit wurden nie als nationalsozialistisches Unrecht aufgehoben – ein Schicksal, das die wegen Homosexualität Verurteilten mit den Wehrmachtsdeserteuren teilen. Österreich ist hier „deutscher“ als Deutschland, das in beiden Fällen alle Nazi-Urteile pauschal aufgehoben hat!

ÖVP und FPÖ stehen auf dem Standpunkt, dass Homosexualität und Fahnenflucht auch nach dem österreichischen Strafrecht verboten waren – wobei man im Falle der Wehrmachtsdeserteure übersieht, dass sie aus einer fremden Armee und nicht aus der eigenen desertierten, womit man eigentlich die mühsam aufgebaute „Opfertheorie“ total ad absurdum führt. Bis heute sind in dieser Logik von FPÖ und ÖVP Homosexuelle und Deserteure also gewöhnliche Kriminelle, die ihre Inhaftierung und Ermordung im KZ offenbar rechtmäßig verdient haben. Im Widerspruch zu dieser Auffassung hat die Historikerkommission in ihrem Schlussbericht vom Jänner 2003 kritisiert, dass nach Aufhebung des Verbots der Homosexualität 1971 keine rückwirkende Einbeziehung dieser Gruppe ins OFG erfolgte und „dass auf Grund formalrechtlicher Erwägungen sogar die Anhaltung im Konzentrationslager, die keinesfalls als rechtsstaatliche Maßnahme betrachtet werden kann, im Sinne einer Bestrafung nach österreichischem Recht interpretiert wurde“ (S. 342).

Solange ÖVP und ÖVP nicht bereit sind, sich von der Ermordung von Homosexuellen in den Konzentrationslagern zu distanzieren und den homosexuellen NS-Verfolgten dieselbe Rehabilitierung zuteil werden zu lassen wie allen anderen Opfergruppen, werden engagierte Lesben und Schwule keine Ruhe geben – selbst wenn keine Betroffenen mehr leben und um Entschädigung ansuchen könnten, denn hier geht es ums Prinzip. Es ist nicht hinnehmbar, dass auch 60 Jahre nach Niederringung des Hitler-Regimes der Tätergeist von damals noch fröhliche Urständ feiern kann. Schlimm genug, dass die zynische Rechnung der Verantwortlichen insofern aufgegangen ist, als die Sache inzwischen so lange erfolgreich hinausgezögert worden ist, dass man sich größere finanzielle Aufwendungen erspart hat, weil fast alle Betroffenen mittlerweile verstorben sind.

Parlamentarische Initiativen zur entsprechenden Novellierung des OFG hat es in den letzten Jahren genug gegeben, doch die Anträge der Grünen und der SPÖ wurden entweder abgelehnt oder im zuständigen Sozialausschuss auf Eis gelegt – zuletzt erst wieder im Februar 2004!

 

Keine Komplizenschaft!

Die Homosexuelle Initiative (HOSI) Wien hat im Jänner 2005 zum Auftakt des Gedankenjahres alle Menschen – PolitikerInnen, KünstlerInnen, Prominente, Angehörige des Diplomatischen Corps usw. –, die mit dieser nicht erfolgten Rehabilitierung nicht einverstanden sind, aber aus beruflichen oder privaten Gründen heuer an Gedenkveranstaltungen teilnehmen, aufgerufen, ihre Solidarität dadurch zu bekunden dass sie bei diesen offiziellen Anlässen gut sichtbar einen großen rosa Winkel aus Stoff oder Papier an ihre Kleidung heften.

Es wäre ein fatales Gutheißen der Nichtanerkennungspolitik von ÖVP und FPÖ und eine schreckliche Komplizenschaft, ließe man das offizielle Österreich 60 Jahre Befreiung vom Faschismus und 50 Jahre Staatsvertrag feiern, ohne auf diese ungeheuerliche Unterlassung bei der Vergangenheitsbewältigung hinzuweisen. Es ist höchste Zeit, dass ÖVP und FPÖ diesen Resten nationalsozialistischen Gedankenguts abschwören. Es gibt keine Rechtfertigung mehr für diese Haltung, schon gar keine finanzielle angesichts der wenigen noch lebenden Betroffenen!

Die menschenverachtende Haltung von ÖVP und FPÖ, in deren Augen Lesben und Schwule offenbar Untermenschen sind, die keinen Anspruch auf dieselben Rechte wie alle anderen haben, spiegelt sich bis zum heutigen Tag aber nicht nur in der Frage der Rehabilitierung der homosexuellen NS-Opfer, sondern ganz allgemein wider. Bis 2002 haben die beiden Parteien mit Zähnen und Klauen die letzte von vier strafrechtlichen Sonderbestimmungen gegen Homosexuelle verteidigt – wider besseres Wissen, denn es war längst klar, dass derartige Sonderparagraphen gegen die Europäische Menschenrechtskonvention verstoßen.

Vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte* gezwungen, die unhaltbar gewordene strafrechtliche Sonderbehandlung zu beseitigen, zeigen sich ÖVP und FPÖ aber keinesfalls gewillt, endlich auch die zivilrechtliche Sonderbehandlung zu eliminieren. Die rechtliche Anerkennung und Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften wird von diesen beiden Parteien wohl so lange hinausgezögert werden, bis sie von den europäischen Instanzen dazu gezwungen werden bzw. – was hoffentlich früher passieren wird – bis sie von den WählerInnen endlich abgewählt werden. Lesben und Schwule haben auch im Gedankenjahr 2005 nicht die geringsten Illusionen, gleichberechtigte BürgerInnen Österreichs zu werden – jedenfalls nicht, solange ÖVP und FPÖ über eine Mehrheit im Nationalrat verfügen.

 

* Nachträgliche Anmerkung: Eigentlich war es formal der Verfassungsgerichtshof, der – wie im Absatz davor erwähnt – 2002 die Politik zwang, § 209 StGB zu beseitigen. Die Verurteilung Österreichs durch den EGMR, bei dem ebenfalls Beschwerden anhängig waren, erfolgte 2003. Dass § 209 StGB gegen die Europäische Menschenrechtskonvention verstößt, war indes seit der diesbezüglichen Entscheidung der Europäischen Menschenrechtskommission in einer Beschwerde gegen ein ähnliches diskriminierendes Mindestalter in Großbritannien klar. Im Zuge der späteren Reform der Menschenrechtsorgane des Europarats ging die Menschenrechtskommission in den Gerichtshof auf, weshalb man, wie ich, verkürzt formulieren kann, Österreich sei vom EGMR zur Aufhebung des § 209 StGB gezwungen worden. Zur Sicherheit wollte ich dies aber hier präzisieren. Eine ausführliche Chronik zur Strafrechtsreform findet sich hier.