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Fremdkind-Adoption: Streit um Kaisers Bart

Erschienen am 15. Oktober 2004

Manchmal ist es erschreckend, wie wenig selbst Lesben- und SchwulenaktivistInnen von den Dingen wissen, die sie fordern. Ein fast schockierendes Beispiel ist die Debatte um die sogenannte Fremdkindadoption, womit die gemeinsame Adoption eines fremden Kindes durch ein gleichgeschlechtliches Paar gemeint ist – im Gegensatz zur Stiefkind-Adoption, der Ko-Adoption eines leiblichen Kindes der Partnerin bzw. des Partners durch den/die andere/n Partner/in.

Kann man à la rigueur noch nachvollziehen, wenn jemand totale Gleichberechtigung in der Theorie um des reinen Prinzips willen auch dann noch einfordert, wenn diese in der Praxis ohnehin irrelevant ist, so muss man jedoch vehement Argumenten entgegentreten, die falsch sind, etwa die Mär von randvollen Waisenhäusern in Österreich, wo die Kinder nur darauf warten, adoptiert zu werden. Das Gegenteil ist der Fall: In Wien gibt es pro Jahr gerade einmal 30 Kinder, die adoptiert werden können, im Rest von Österreich sind es noch weniger. Die Nachfrage übersteigt bei weitem das Angebot, die Wartefrist selbst für bestsituierte Heteropaare beträgt mehrere Jahre. Auch die internationale Adoption ist keine wirkliche Alternative, will man sich nicht am illegalen Kinderhandel beteiligen.

Man vergibt sich daher überhaupt nichts – auch keine Verhandlungsmasse im vermeintlichen Politpoker um die Ausgestaltung der „Homo-Ehe“, wie jetzt so mancher kleine Bewegungs-Maxi in seiner Vorstellung von Politik fürchtet –, wenn man, wie es die HOSI Wien getan hat, den Parteien signalisiert, sie sollen sich mit der Durchsetzung der Fremdkindadoption keinen Stress machen, weil diese in der Praxis ohnehin ohne Bedeutung ist.

Ein Blick auf die Fakten im Ausland hätte genügt, um dies zu erkennen. In keinem Land Europas, in dem bisher eine rechtliche Anerkennung gleichgeschlechtlicher PartnerInnenschaften erfolgte, ging diese sofort mit der Möglichkeit irgendeiner Form von Adoption einher. Führte Österreich also demnächst die eingetragene Partnerschaft (EP) samt Stiefkindadoption ein, wofür sich ja SPÖ und Grüne bereits ausgesprochen haben, wäre dies ohnehin sensationell und in Europa einzigartig – außer Spanien kommt uns zuvor, wo mit der Öffnung der Ehe zugleich die Adoption vorgesehen ist. Selbst die Stiefkindadoption existiert heute nur in einigen wenigen Ländern und wurde überall erst in einem zweiten Schritt einige Jahre nach Einführung der EP verwirklicht, um die Gesellschaft nicht zu überfordern. Die Fremdkindadoption existiert in Europa überhaupt in bloß zwei Staaten: in Schweden und den Niederlanden, wobei sie in Holland nur bei einheimischen Kindern möglich ist (dieselbe Einschränkung ist im übrigen auch in Spanien geplant). Schweden hat 2002 – sieben Jahre nach Einführung der EP – als bisher einziges Land theoretisch auch die Möglichkeit der internationalen Fremdkindadoption geschaffen. Doch in der Praxis ist bis heute kein einziges Kind von einem Lesben- oder Schwulenpaar adoptiert worden, obwohl bereits drei Paare von den schwedischen Adoptionsbehörden die Lizenz zum Adoptieren erhalten haben. Denn es gibt kaum schwedische Kinder zu adoptieren, und bei der Adoptionszusammenarbeit mit anderen Ländern ist vorgesehen, dass die Behörden des Herkunftslandes in jedem einzelnen Fall die schwedischen Eltern aussuchen. Noch hat sich kein Land gefunden, das einem gleichgeschlechtlichen Paar ein Kind zur Adoption übertragen wollte – wo doch genug verschiedengeschlechtliche Paare warten.

Wie man sieht, ist die ganze Debatte eine virtuelle, ein Streit um des Kaisers Bart. Es ist daher nicht nur kontraproduktiv, sondern völlig bizarr, die Debatte um die EP mit dem Justaments-Beharren auf der Fremdkindadoption zu belasten und zu überfrachten.

Kurts Kommentar LN 4/2004