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Kommentar der anderen im Standard

Richterliche Homophobie

Veröffentlicht am 5. August 2003
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg hat im Juli 2003 entschieden, dass gleichgeschlechtliche LebensgefährtInnen im Mietrecht verschiedengeschlechtlichen gleichzustellen sind. Anlass für mich, mit den österreichischen Höchstgerichten wegen ihrer zahlreichen homophoben Entscheidungen abzurechnen.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg hat entschieden, dass gleichgeschlechtliche LebensgefährtInnen im Mietrecht verschiedengeschlechtlichen gleichzustellen sind (konkret ging es um das Eintrittsrecht eines Lebensgefährten in den Mietvertrag des Hauptmieters nach dessen Tod gemäß § 14 Mietrechtsgesetz).

Den Ausführungen des EGMR ist zu entnehmen, dass jede rechtliche Ungleichbehandlung von gleich- und verschiedengeschlechtlichen LebensgefährtInnen analog in jedem anderen Bereich ebenfalls gegen die Menschenrechte verstößt. Dieses denkwürdige und bahnbrechende Urteil hat uns einmal mehr anschaulich vor Augen geführt, wie rückständig bis reaktionär die Rechtsprechung der drei österreichischen Höchstgerichte in Sachen Homosexualität immer noch ist.

Der Oberste Gerichtshof, die letzte in Österreich mit diesem Fall befasste Instanz, hatte 1996 die fortschrittlichen Urteile der beiden ersten Instanzen aufgehoben, die schon damals dieselbe (Menschen-)Rechtsauffassung vertraten wie jetzt der EGMR.

Dieser Fall ist jedoch nicht das einzige Beispiel dafür, wie die Höchstgerichte Lesben und Schwulen systematisch ihre Menschenrechte vorenthalten. Noch frisch in Erinnerung ist, dass es fünf Anläufe und 16 Jahre gebraucht hat, bis sich im Vorjahr der Verfassungsgerichtshof endlich – als ihm der EGMR schon ganz dicht im Nacken saß – dazu durchrang, das diskriminierende Mindestalter für sexuelle Handlungen zwischen männlichen Personen (§ 209 StGB) als Menschenrechtsverletzung zu werten.

 

Haarsträubendes

Die RichterInnen des Verwaltungsgerichtshofs sind, wenn es um Homosexualität geht, auch nicht besser.

Im Oktober 2001 begründeten sie mit haarsträubenden Argumenten, warum gleichgeschlechtliche LebensgefährtInnen im Gegensatz zu verschiedengeschlechtlichen von der Mitversicherungsmöglichkeit in der gesetzlichen Sozialversicherung auszuschließen seien. Apodiktisch verkündete der VwGH, man könne bei zwei Personen verschiedenen Geschlechts, die zusammenleben, davon ausgehen, dass sie dies zum Zwecke der Lebensgemeinschaft tun, während im Gegensatz dazu bei zwei Personen des gleichen Geschlechts die objektive Unterscheidung von Lebensgemeinschaft und bloßer Wohngemeinschaft schwer zu treffen sei.

Das ist natürlich kompletter Nonsens. Nicht immer, wenn eine Frau und ein Mann in einer Wohnung leben, handelt es sich automatisch um eine Lebensgemeinschaft. Und natürlich sind auch die RichterInnen am VwGH heute nicht mehr so weltfremd, dies wirklich anzunehmen.

Übrigens ist auch dieser Fall mittlerweile in Straßburg anhängig, und es kann wohl kein Zweifel bestehen, dass er ebenfalls mit einer Verurteilung Österreichs enden wird. Denn mit derartig hanebüchenen Argumenten hat man bereits im Mietrechtsfall in Straßburg Schiffbruch erlitten. So rechtfertigte die schwarz-blaue Regierung die Diskriminierung im Mietrecht mit dem Ziel, „die traditionelle Familie zu schützen“, konnte dies aber nicht überzeugend begründen – wie denn auch? Fast ärgerlich stellte der EGMR daher fest: „Der Gerichtshof kann nicht erkennen, dass die Regierung irgendein Argument vorgebracht hätte, das eine solche Schlussfolgerung zuließe.“

Die homophobe und menschenrechtswidrige Spruchpraxis der drei Höchstgerichte muss jetzt ein Ende haben. Wenn die HöchstrichterInnen nicht im Stande oder nicht gewillt sind, die Menschenrechtskonventionen dem europäischen Standard entsprechend auszulegen, dann sind sie für ihren Job ungeeignet und sollten schleunigst abtreten und einer jüngeren Generation Platz machen.

Jedenfalls geht es nicht an, dass Lesben und Schwule in jeder einzelnen Frage ihre ihnen zustehenden Menschenrechte erst auf dem Jahre dauernden Rechtsweg erkämpfen müssen. Bei den beiden Regierungsparteien ÖVP und FPÖ muss ebenfalls endlich ein radikales Umdenken in Sachen Gleichstellung von Lesben und Schwulen einsetzen. Hoffentlich reicht es, dass der EGMR ihnen heuer bereits zweimal ins Stammbuch geschrieben hat: Die Menschenrechte sind unteilbar und gelten auch für Lesben und Schwule!

 

Nachträgliche Anmerkung: Die in diesem Kommentar erwähnte EGMR-anhängige Beschwerde wurde in der Tat – im Juli 2010 – zugunsten der Beschwerdeführer entschieden. Ihr Kampf um ihre Rechte zog sich vor den österreichischen Gerichten und in Straßburg über zwölf Jahre hin (vgl. LN 3/2010, S. 21).

Link zum Original-Beitrag: https://derstandard.at/1380947/Richterliche-Homophobie