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Keine schwere Wahl

Erschienen am 15. Oktober 2002

Der 24. November 2002 wird für Lesben und Schwule ein Lostag sein, denn an diesem Tag wird auch darüber entschieden werden, ob wir weiterhin BürgerInnen zweiter und dritter Klasse bleiben oder endlich volle Menschenrechte und Gleichberechtigung erreichen.

Wir können mit unseren zehn Prozent der Stimmen den Ausgang dieser Richtungswahl entscheiden, wenn wir sie endlich kollektiv für unsere Gleichstellung einsetzen. Sicher: Wir sind nicht nur lesbisch bzw. schwul, man wählt nicht nur nach diesem Gesichtspunkt. Aber aufgrund des enormen Reformstaus (Wiedergutmachung für NS-Opfer; Rehabilitierung aller strafrechtlich Verfolgten; rechtlicher Schutz vor Diskriminierung; eingetragene Partnerschaft) sollten wir diesmal alle nach unseren ureigensten Bedürfnissen wählen. Nur einmal wenigstens, damit in den nächsten vier Jahren eine fortschrittliche Mehrheit im Nationalrat den Reformstau beheben kann. Beim nächsten Mal soll dann jede und jeder ruhig wieder nach ihren bzw. seinen generellen politischen Vorlieben wählen.

Die Zeit ist ja mehr als reif: 19 Jahre schwarz-blaue Mehrheit im Parlament (seit 1983!) und 16 Jahre Mitregierung der ÖVP (seit 1986!) liegen hinter uns und haben deutlich negative Spuren hinterlassen. Außerdem ist durch die blau-schwarze Chaosregierung das bürgerliche Lager geschwächter denn je. Nie war die Chance auf eine fortschrittliche Mehrheit so realistisch. Wir sollten sie unbedingt nutzen.

Die Wahl sollte uns nicht schwerfallen: Nach zweieinhalb Jahren FPÖVP-Regierung muß wohl wirklich allen klar sein, daß Lesben und Schwule auch von der FPÖ nichts Positives zu erwarten haben. Das Liberale Forum, obwohl glühender Verfechter unserer Anliegen, wird diesmal noch weniger Stimmen bekommen als vor drei Jahren. Daher schwächt jede Stimme für das LiF – so traurig es ist – Rot-Grün und damit unsere Chancen auf eine fortschrittliche Wende. Dasselbe gilt für die KPÖ und „die Demokraten“.

Bleiben also nur die Grünen und die SPÖ als echte Optionen für selbstbewußte Lesben und Schwule. Leider hat die SPÖ – im Gegensatz zu den Grünen – eine Koalition mit der ÖVP nicht ausgeschlossen. Für Lesben und Schwule waren die 13 Jahre SPÖ-ÖVP-Koalition von 1986 bis 1999 eine Periode des völligen Stillstands. Das kann sich keine Lesbe und kein Schwuler zurückwünschen. Eine Stimme für die SPÖ ist jedoch u. U. eine Stimme für die Fortsetzung dieser bleiernen Zeit.

Auch Armin Thurnher rätselte im Falter, warum Alfred Gusenbauer sich die ÖVP-Option offenhalten und nicht in einen Richtungswahlkampf Rot-Grün gegen Schwarz-Blau einsteigen will. Nach der Wiederwahl von Rot-Grün in Deutschland könnte er das ruhig riskieren. Umso mehr, als alle Umfragen signalisieren, daß Rot-Grün kein Schreckgespenst mehr ist, sondern immer beliebter wird.

Wer auf Nummer sicher gehen und unter keinen Umständen die ÖVP mitwählen will, muß daher Grün wählen. Je stärker die Grünen werden, desto schwieriger wird es für die SPÖ sein, sie als Koalitionspartnerin zu ignorieren und wieder eine große Koalition einzugehen. Werden die Grünen gestärkt, wird auch die Chance größer, daß die SPÖ von der ÖVP überholt wird, was ja gar nicht so schlecht wäre, solange sich Schwarz-Blau nicht ausgeht, denn das wäre dann auch die Garantie dafür, daß Rot-Grün kommt. In diesem Fall macht Gusenbauer nämlich sicherlich lieber den Kanzler mit den Grünen als den Vizekanzler unter den Schwarzen.

Und der ÖVP würde ich diesen Treppenwitz der Geschichte aus ganzem Herzen und voller Schadenfreude gönnen: Nach mehr als 35 Jahren wäre die ÖVP endlich wieder stärkste Partei, Schüssel würde die erste Wahl seines Lebens gewinnen – und trotzdem könnten sie nicht regieren! Das wäre wirklich eine traumhafte Genugtuung.

Die SPÖ hat es selbst in der Hand: Sie müßte sich bloß vor der Wahl auf Rot-Grün festlegen und eine Koalition mit der ÖVP ausschließen. In diesem Fall bräuchte man sich als Lesbe oder Schwuler nicht taktisch zwischen SPÖ und Grünen entscheiden, sondern könnte eine der beiden Parteien je nach allgemeiner Präferenz wählen. Vielleicht ringt sich die SPÖ ja noch zu einer Festlegung vor der Wahl durch…

Der Tag, an dem die ÖVP aus der Regierung ausscheidet, wird jedenfalls der glücklichste Tag meines Lebens sein!

 

Kurts Kommentar LN 4/2002

Nachträgliche Anmerkung

Die erste schwarz-blaue Regierung hatte nur zweieinhalb Jahre gedauert. Nach dem außerordentlichen Knittelfelder FPÖ-Parteitag, der sich gegen die Politik der schwarz-blauen Koalition richtete, war es zum Rücktritt von Vizekanzlerin Susanne Riess-Passer, Finanzminister Karl-Heinz Grasser und anderen freiheitlichen Ministern und Funktionären gekommen. Am 24. November 2002 wurde der Nationalrat neu gewählt.