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Julien Green in Klagenfurt begraben

Veröffentlicht am 13. Oktober 1998
Der in Paris geborene und verstorbene Schriftsteller Julien Green (1900–1998) wurde auf eigenen Wunsch in der Klagenfurter Stadtpfarrkirche begraben. Den Grund dafür erzählte ich in den LN 4/1998. Und ging in diesem Zusammenhang auf den Umstand ein, dass Österreich zwar kaum selber berühmte offen homosexuelle Künstler hervorgebracht, aber solche immer wieder „importiert“ hat.

Julien Greens Grab in einer Kapelle der Klagenfurter Stadtpfarrkirche St. Egid. Sein Adoptivsohn Jean-Éric verstarb 2015 und wurde im selben Grab beigesetzt.

Stadtpfarrkirche St. Egid in Klagenfurt

Angesichts des augenfälligen Mangels an einheimischer Schwulenprominenz muß Österreich immer wieder schwule Celebritys importieren. Am besten als Tote. Da stören sie am wenigsten.

In der Tat hat Österreich nur wenige schwule (und lesbische) Persönlichkeiten in Geschichte und Gegenwart hervorgebracht. Dieser Umstand fällt sogar Heterosexuellen auf, und früher hörte man das ja oft als Argument gegen die Bemühungen um Emanzipation und Anerkennung. Motto: Bei uns in Österreich war „das“ nie so „populär“ und verbreitet wie anderswo, und das soll ruhig so bleiben. Ich erinnere mich noch an die Frühzeit der HOSI Wien, als wir 1980 für unseren ersten großen öffentlichen Auftritt am Reumannplatz eine Schautafel mit berühmten Schwulen zusammenstellten und dabei verzweifelt nach berühmten, großen schwulen Österreichern suchten. Die Ausbeute war nicht gerade überwältigend. Bei den meisten Persönlichkeiten, über die es diesbezügliche Gerüchte und Verdächtigungen gibt und die schon länger tot sind, haben die Historiker meist ganze Arbeit geleistet und alle Hinweise und Spuren verwischt. Und wo dies nicht gelang, bestreiten sie selbst heute den Wahrheitsgehalt solcher Hinweise, um die Ehre der betreffenden Persönlichkeiten vermeintlicherweise zu retten.

Bestes Beispiel dafür ist Prinz Eugen von Savoyen (1663–1736), indes ebenfalls kein Indigener, sondern ein Import. Obwohl überliefert ist, daß er es mit Männern trieb und von Freunden nur Madame Simone oder Madame Lansiene gerufen wurde, bestreiten die Historiker teilweise heute noch, daß er schwul war, und qualifizieren die diesbezüglichen Aussagen der Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans als politisch motiviertes Outing ab.

Christoph Schwandt erntete für seinen recht schlüssigen Nachweis der Homosexualität Franz Schuberts (vgl. auch LN 2/1997, S. 42 ff) harsche Kritik von Schubertianern, die offensichtlich das Ansehen Schuberts dadurch in den Dreck gezerrt sahen.

Ein weiteres zeitgenössisches Beispiel für versuchte Geschichtsfälschung in Österreich ist der Philosoph Ludwig Wittgenstein (1889–1951). Noch in den 1980er Jahren erschien eine von den Erben Wittgensteins autorisierte Biographie ohne den geringsten Hinweis auf Wittgensteins Homosexualität. Als Kritiker dies bemängelten, drohten die Erben sogar mit Klagen gegen alle, die behaupten würden, Wittgenstein sei homosexuell gewesen. Wittgenstein lebte seine homosexuellen Beziehungen in England, wo er lange Jahre seines Lebens verbrachte und auch verstarb, und in Norwegen, wo er ein kleines Haus in Skjolden am hintersten Ende des Sognefjords in der Provinz Sogn og Fjordane besaß, das er immer wieder aufsuchte. Besonders wichtig für Wittgenstein war seine Beziehung zu Francis Skinner, der ihn auch 1937 in Skjolden besuchte. Seinem Tagebuch hat Wittgenstein seine sexuelle Beziehung mit Skinner anvertraut. Als 1994 in Norwegen ein Buch* über Wittgensteins norwegische Jahre erschien, war seine Homosexualität darin überhaupt kein Tabu. Beim diesjährigen Ibsenfestival in Oslo erlebte vergangenen August das Stück Østerrike (Österreich), Auftragswerk des Festivals, seine Uraufführung. In dem Wittgenstein-Stück beschäftigt sich die Autorin Cecilie Løveid mit Wittgensteins unmöglicher und verdrängter Sexualität. Es ist ein Dreiecksdrama, in der es auch um Marguerite geht, eine Frau, mit der Wittgenstein ebenfalls ein Verhältnis hatte, wie aus seinem geheimen Tagebuch hervorgeht.

 

Verdrängt und verschwiegen

Dennoch: Unbestritten ist, daß Österreich keine berühmten Schwulen hervorgebracht hat, bei denen das Wissen um ihre Homosexualität zum allgemeinen Kultur- und Wissensgut gehört. Warum aber ist das so? Warum gibt es keinen österreichischen Oscar Wilde, Federico García Lorca oder gar Jean Cocteau, Jean Genet oder André Gide? Oder meinetwegen einen Komponisten, bei dem jeder, wenn er den Namen oder ein Musikstück von ihm hört, sofort mitdenkt: Der war schwul? In diese Kategorie fällt höchstens Österreichs berühmtester Homosexueller Hans Hermann Groër, aber dessen Berühmtheit ist nun einmal auch von zweifelhafter Natur. Andere „berühmte“ österreichische Schwule (und Lesben, aber die sollen nicht Gegenstand dieser Betrachtung sein), speziell die heute lebenden, sind jedoch entweder nur halbprominent, oder ebenfalls von zweifelhaftem Ruhm (z. B. Oberst Alfred Redl) oder eben einer breiten Öffentlichkeit nicht als Homosexuelle bekannt (Raoul Aslan, Anna Freud, Schubert, Wittgenstein). Auf diese Frage gibt es keine befriedigende Antwort. Aber wahrscheinlich schafft das schwulenfeindliche Klima in Österreich einfach die Voraussetzung für diese selbsterfüllende Prophezeiung, daß man hier als Schwuler keine Karriere machen kann. Und deshalb verstecken gerade Prominente oder prominent werden Wollende ihre Homosexualität.

Von Zeit zu Zeit importiert Österreich jedoch prominente Schwule, in guter alter Prinz-Eugen-Tradition, um dem Mangel an autochthonen Schwulen abzuhelfen:

Der britische Autor Wystan Hugh Auden (1907–73) lebte vierzehn Jahre – mit seinem Partner – in Kirchstetten bei Böheimkirchen und ist dort auch am Ortsfriedhof begraben.

Rudolf Nurejew, der 1993 an AIDS verstarb, lebte zwar nicht in Österreich, hatte aber die österreichische Staatsbürgerschaft. Eigentlich müßte sein Name auch auf deutsch in der international üblichen französischen Transkription geschrieben werde – Noureev –, denn so stand er auch in seinem österreichischen Paß.

 

Ausländischer Import

Der letzte Import eines prominenten Schwulen erfolgte im August dieses Jahres: Der bedeutende französische Schriftsteller Julien Green ließ sich in der Klagenfurter Kirche St. Egid beisetzen. Sehr komisch, sehr merkwürdig, wird man sich fragen. Green war einer jener katholisch geprägten Schriftsteller, die in ihrem Leben sowohl mit der katholischen Kirche als auch mit ihrer Homosexualität recht viel haderten. Während Green sich jedoch freimütig zu seiner Homosexualität bekannte, verdrängte sie z. B. ein François Mauriac, der andere große Vertreter des katholischen Romans, ein Leben lang. Mauriacs (verdrängte) Homosexualität ist auch Kennern der französischen Literatur meist unbekannt, aber bei genauerer Spurensuche dennoch unübersehbar.**

Hingegen findet man nicht nur in Greens umfangreichem Romanwerk etliche schwule Charaktere, sondern Green thematisiert (seine) Homosexualität auch in seinem vielbändigen Journal, seinem Tagebuch, das er 1926 begann und bis praktisch zu seinem Tod weiterführte. Die Journal-Bände sind in diesen siebzig Jahren auch kontinuierlich herausgegeben worden. In seiner vierbändigen Autobiographie – Partir avant le jour (1963), Mille chemins ouverts (1964), Terre lointaine (1968) und Jeunesse (1974) – thematisiert Green die Homosexualität indes am deutlichsten.

 

St. Egid – bald schwuler Wallfahrtsort?

Wie kommt es nun, daß Green unbedingt in der Klagenfurter Stadtpfarrkirche St. Egid begraben werden wollte? Laut Standard vom 19. August ist Green erstmals 1990 zur deutschen Erstaufführung seines Theaterstücks Der Automat nach Klagenfurt gekommen. Herbert Wochinz, der frühere Intendant des Klagenfurter Stadttheaters, sei ein langjähriger Freund Greens gewesen. Ebenso der Klagenfurter Stadtpfarrer Markus Mairitsch. Green wurde in einer Gruft in einer Seitenkapelle neben einem von ihm heißverehrten Marienbildnis beigesetzt.

Der Standard vom 22. August verriet auch den wahren Grund, warum sich Green nicht in irgendeiner französischen Kapelle begraben ließ: Greens Wunsch, gemeinsam mit seinem Adoptivsohn in einer Kirche in der Umgebung von Paris bestattet zu werden, hatte die französische Kirche abgelehnt. Da sprang der Gurker Bischof Egon Kapellari ein. Er, der übrigens auch den Begräbnisgottesdienst hielt, und die Stadtpfarrkirche in Klagenfurt kamen Greens ausgefallenem Wunsch nach. Von wegen „Adoptivsohn“ – eh schon wissen! Jean-Éric Jourdan-Green, dieser Adoptivsohn, wird nach seinem Tod neben Green bestattet werden. Auch der Standard spürte die Pikanterie dieser Situation und versuchte sich darob – in für ihn typisch schlechtem Deutsch – in Verklausulierungsprosa beim Bericht über die Begräbnisfeierlichkeiten: Und über allem ein Hauch lächelnd achselzuckender Ironie, die allen jenen eigen ist, denen der höllische Schmerz einer zerrissenen Seele vertraut ist.

St. Egid hat damit das Zeug, zu einem schwulen Wallfahrtsort zu werden, spätestens nach dem Tod Jean-Érics. Wo sonst liegt ein schwules Paar in einer katholischen Kirche beerdigt? Übrigens war Egon Kapellari einer der vier Bischöfe, deren homosexuelle Neigungen 1995 vom Autor dieser Zeilen geoutet wurden… Naja, so schließt sich halt der Kreis. Jedenfalls sollten wir Kapellari für diese neue Pilgerstätte, eine Art Maria Schwul, wirklich dankbar sein.

Noch schöner wäre es aber, wenn auch die Kirche endlich zu einem Klima in Österreich beitrüge, die Persönlichkeiten wie Green auch in Österreich gedeihen ließen – auf daß wir nicht mehr auf den Import prominenter Schwuler angewiesen wären.

 

* Knut Olav Åmås/Rolf Larsen: Det stille alvoret. Ludwig Wittgenstein i Norge 1913–1950 (Der stille Ernst. Ludwig Wittgenstein in Norwegen 1913–1950), Verlag Det norske Samlaget, Oslo 1994

 

** Vgl. Kurt Krickler: François Mauriac und die Homosexualität. Unveröffentlichte Seminararbeit am Romanistik-Institut der Universität Wien, 1985