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Katholische Kirche am Boden: Nützen wir die Chance!

Erschienen am 15. April 1998

Das Unvorstellbare, das Nicht-für-Möglich-Gehaltene ist eingetreten: Die Groër-Berichterstattung hat in den letzten Monaten immer noch zugelegt, seitenweise neue alte Enthüllungen und Berichte. Eine apostolische Visitation, eine reichlich späte Erklärung von vier Bischöfen, an den Vorwürfen gegen Groër sei doch ’was d’ran, der Konflikt Krenn–Pater Udo Fischer trugen natürlich zu dieser neuen massenmedialen Eskalation bei. Und als besonderer Spaß die herzhaften bischöflichen Intrigen, über die man die tollste Soap-Serie drehen könnte (ja, warum tut das eigentlich keiner?): Groër fliegt heimlich nach Rom, um Schönborn die Kardinalserhebung zu vermiesen bzw. vielleicht auch nur, um sich nicht die Gelegenheit entgehen zu lassen, sich von Männern küssen zu lassen – jetzt, da die Gelegenheiten sicher seltener geworden sind. Schönborn muß jedenfalls in den sauren Apfel beißen. Und Kurt Krenn spielt in der etwas abgewandelten Fabel vom Hasen und vom Igel: Krenn ist immer schon zuerst da, also im Vatikan. Und wäre nicht soviel Schmarrn geschrieben worden, hätte man sich über die Sachen viel mehr amüsieren können, aber so hing einem das Ganze bald zum Hals raus.

Göttlich amüsiert habe ich mich jedenfalls darüber, wie ausgerechnet der katholische FPÖ-Fundi Ewald Stadler, der sonst bei jeder Gelegenheit gegen Schwule auftritt und wettert, sich offenbar gezwungen sah, sich zum letzten eifrigen Verteidiger des schwulen Kardinals Groër aufzuschwingen – bei gleichzeitiger Schaltung von Anzeigen durch die FPÖ, in denen „lebenslänglich“ für Kinderschänder gefordert wird. Pikanterien, wie sie nur die FPÖ hervorbringt.

Totaler ÖVP-Flop

Überhaupt ist es für mich der irrste Treppenwitz der Geschichte, daß die ÖVP mit den von ihr forcierten Schlachtschiffen im Kampf gegen die liberalen Tendenzen in der österreichischen Kirche derart Schiffbruch erleiden mußte. Wenig angetan von der offenen und dem Geist des II. Vatikanischen Konzils getragenen Haltung in der katholischen Kirche Österreichs unter dem „sozi-freundlichen“ Kardinal König, machten sich ja vor etlichen Jahren die beiden erzkonservativen ÖVPler Andreas Khol und Herbert Schambeck, ehemaliger Bundesratspräsident, in den Vatikan auf, um Papst Karol Wojtyła, der auch unter dem Künstlernamen Johannes Paul II. auftritt, für die bevorstehenden Bischofsernennungen in Österreich die als erzkonservativ eingestuften Kleriker Hans Hermann Groër und Kurt Krenn schmackhaft zu machen. Schambeck brüstete sich später sogar wegen seiner guten Kontakte und seines Einflusses im Vatikan. Nur leider, das Ganze wurde zu einem Riesenflop: Groër und Krenn sind an der größten Krise der katholischen Kirche in Österreich schuld. Sie haben einen Riesenscherbenhaufen hinterlassen, der natürlich auch auf die ÖVP und insbesondere auf Khol zurückfallen muß.

Besonders pikant und weiterer Gegenstand satanischen Amüsements ist auch der Umstand, daß der schwule Groër der Haus- und Hofbischof der ÖVP war. Wie oft hat er nicht die Messe gelesen bei ÖVP-Parteitagen und sonstigen ÖVP-Anlässen? Und wenn ich mich nicht irre, hat er sogar die ÖVP-Generalsekretärin Maria Rauch-Kallat mit ihrem Grafen getraut. Wie peinlich, wie ultrapeinlich das alles jetzt ist! Aber es ist dieser heuchlerischen Kerzerlschlucker-Partie von Herzen vergönnt! Khols fanatisch anti-schwule Haltung ist wahrscheinlich auch damit zu erklären: Ausgerechnet ein Schwuler hat ihm das eingebrockt, ist schuld an dieser unglaublichen Misere. Das müssen wir Schwule jetzt offenbar büßen!

Keine Absolution

Jetzt, da sich die Amtskirche entschlossen hat, Groër nicht länger zu verteidigen, und sich vier Bischöfe sogar von ihm distanziert haben, werden schon die ersten Stimmen laut: „Schwamm drüber! – Es kann zur Tagesordnung übergegangen werden!“ Das muß indes verhindert werden, denn dieser Schaden, den die Kirche hier erlitten hat, muß in etwas Positives für die Gesellschaft umgemünzt werden.

Da kann und darf es auch nicht helfen, wenn ein Peter Rabl in seinem Leitartikel im KURIER vom 1. März 1998 nach der Erklärung der vier Bischöfe, sie betrachteten die Vorwürfe gegen Groër als zutreffend, etwas vorschnell der ganzen Kirche gleich die Absolution erteilt und feststellt: So, jetzt hat die katholische Kirche ihre moralische Autorität wieder zurückgewonnen. So einfach kann’s wohl nicht gehen!

Beispiel Irland

Die katholische Kirche liegt am Boden – und wir sollten diese Chance nützen, ihre Macht nachhaltig einzuschränken. Irland kann uns hier ein gutes Beispiel sein: Noch vor zehn Jahren war Irland in würgender und noch viel engerer Umklammerung der katholischen Kirche als Österreich. Die wirtschaftliche Rückständigkeit tat ein übriges. Heute ist Irland zu einem modernen progressiven Land geworden, in dem der Einfluß der Kirche stark zurückgegangen ist. Die Scheidung wurde erlaubt, ebenso die Abtreibungsberatung und die Empfängnisverhütung. Und in Sachen Lesben- und Schwulengesetzgebung hat sich Irland einen europäischen Spitzenplatz erobert: keine strafrechtliche Diskriminierung seit 1993, Verhetzungsverbot sowie Diskriminierungsschutz am Arbeitsmarkt, Verfolgung wegen sexueller Orientierung ist ein gesetzlich verbriefter Asylgrund.

Am Anfang dieser Entwicklung standen ebenfalls Sex- und Mißbrauchsskandale des Klerus. Sie haben die Macht der Kirche nachhaltig gebrochen. Zusätzlich hatte Irland als weltliche Alternative sich eine moderne Präsidentin gewählt, die bald als neue moralische Instanz des Landes anerkannt wurde und die diesem Amt auch neue Inhalte und Bedeutung verlieh. Vor ihrer Präsidentschaft hatte Mary Robinson als Rechtsanwältin das Totalverbot homosexueller Handlungen in Irland erfolgreich beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte bekämpft. Heute ist Robinson UNO-Hochkommissarin für Menschenrechte.

Also noch eine Parallele mit Österreich: Auch wir haben jetzt die Chance, eine Frau ins Präsidentenamt zu wählen, die mit dem monarchistischen Hofburg-Mief aufräumen und dieser Funktion neue Facetten verleihen könnte. Auch sie könnte neue moralische Instanz werden und damit das Vakuum füllen, das die Bischöfe hinterlassen haben. Wobei ich allerdings an Heide Schmidt denke und nichts davon halte, den katholischen Teufel mit der evangelischen Beelzebübin auszutreiben.

Kurts Kommentar LN 2/1998

Nachträgliche Anmerkung

Mit der evangelischen Belzebübin war Gertraud Knoll gemeint. Zum Bundespräsidenten wurde schließlich Thomas Klestil (1932–2004) (wieder)gewählt.