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Zurüstungen für eine schwul/lesbische Sprachlichkeit

Veröffentlicht am 8. Juli 1997
Einige damals aktuelle und mitunter als problematisch empfundene Tendenzen in der Aktualisierung von Lesben- und Schwulensprache haben die LN in ihrer Ausgabe 3/1997 zum Anlass genommen, sich mit diesen sprachlichen Phänomenen eingehender auseinanderzusetzen und ihnen einen eigenen Schwerpunkt zu widmen. Ich war einer von drei LN-MitarbeiterInnen, die dafür Beiträge beigesteuert haben.

Sprache beeinflußt das Denken. Und umgekehrt natürlich. Deshalb ist Genauigkeit im sprachlichen Ausdruck nicht nur eine Frage der leider oft übertriebenen und damit abgewerteten „politischen Korrektheit“, sondern auch der ideologischen Standortdefinition. Die gegenwärtig allerorten zu beobachtende Verluderung und Verlotterung der Lesben- und Schwulensprache läßt daher auch Rückschlüsse darauf zu, wie es um das politische Bewußtsein derer bestellt ist, die diese Sprache aktualisieren.

Das augenfälligste und meiner Ansicht nach negativste Beispiel für diese Verlotterung ist die Verwendung des Wortes „Outing“ für „Coming-out“ durch viele junge Lesben und Schwule oder solche, die erst neu zur Bewegung oder Szene gestoßen sind. HELGA PANKRATZ hat versucht, Verständnis für diesen Bezeichnungswandel aufzubringen und ihn positiv zu bewerten als bewußte Auflehnung gegen die Vereinnahmung dieses Begriffs in der Psychologie. Außerdem beinhalte „Outing“ ein neues revolutionäres Potential, sei aggressiver in seiner Aussagekraft und damit geeignet, der Lesben- und Schwulenemanzipation neuen Impetus zu geben.

Selbst auf die Gefahr hin, dadurch als reaktionärer Nostalgiker zu gelten, der nicht mehr offen für neue Entwicklungen ist, möchte ich eine derartige Wirkung einer bloßen Bezeichnungsänderung im allgemeinen und durch das Ersetzen von „Coming-out“ durch „Outing“ im besonderen bestreiten. Ich will daher für die Beibehaltung des guten alten „Coming-out“ und gegen die Begriffsverwirrung mit „Outing“ auf- und eintreten.

Bei allen Facetten, die das Wort „Coming-out“ in verschiedenen Zusammenhängen auch haben mag, die Hauptbedeutung, die doch immer noch ziemlich breit verstanden wird, ist das „Herauskommen“, das Annehmen und einem größeren Kreis gegenüber Bekanntmachen der eigenen Homosexualität, was schließlich dazu führt, daß man offen lesbisch bzw. schwul lebt. Für die meisten Lesben und Schwulen ist das Coming-out immer noch die Zäsur in ihrem Leben, man spricht von der Zeit vor dem Coming-out und danach.

Außerdem erfährt das Wort „outen“ gerade eine unglaublich inflationäre und dadurch banalisierende Verwendung in allen Lebenslagen. Man „outet sich“ als Vegetarier, als Schubert-Liebhaber und weiß Gott was noch. Diese Allerweltsverwendung hätte zwar den möglichen Vorteil, daß ein Sich-outen als Lesbe oder Schwuler genauso „harmlos“ in der Öffentlichkeit daherkommt und registriert wird, aber das Sich-outen als Lesbe oder Schwuler ist eben nicht gleichzusetzen etwa dem Bekanntgeben von Vorlieben wie gerne Mehlspeisen zu verzehren oder ein Fan von Hansi Hinterseer zu sein.

Die häufige Verwendung von „Outing“ im Sinne von „Coming-out“ unter Lesben und Schwulen darf kein Grund sein, vor dieser schlampigen Verwendung der beiden Wörter zu resignieren. Außerdem halte ich „Coming-out“ einfach für zu gut eingeführt, als daß es jemals aus unserem Wortschatz wieder verschwinden könnte. Es ist eben kein harmloses Modewort, als das sich „outen“ längst erwiesen hat. Möglicherweise verschwindet „outen“ in einiger Zeit genauso rasch wieder aus dem Sprachgebrauch, wie es vorher darin aufgetaucht ist. Wir erinnern uns an „sophistiziert“ oder „sophisticated“, später ist ständig etwas „evoziert“ worden, und eine Zeitlang glaubte niemand, ohne „Dichotomie“ auskommen zu können. Und vor „Ikonen“ wimmelte es in den zeitgeistigen Texten nur so. Wer verwendet diese Ausdrücke aber heute noch?

 

Relativ neutraler Begriff

Ich bestreite auch, daß „Coming-out“ unter jungen Lesben und Schwulen einen negativen psychologisierten Beigeschmack hat. Das allfällig Negative an „Coming-out“ hat ja nicht mit dem Wort oder dem Prozeß zu tun, den es beschreibt, sondern mit dem Zustand davor. Ich finde nicht, daß es den PsychologInnen schon gelungen ist, durch ihre Usurpation des Begriffs diesen negativ zu besetzen. Und sollte es tatsächlich zutreffen, daß der Begriff „Coming-out“ für viele junge Lesben und Schwule Entpolitisierung und Vorschubleistung für ihre eigene „Veropferung“ als Lesben und Schwule bedeutet, dann wird es indes nicht reichen, einfach den Begriff auszutauschen, sondern da müßte man das Übel schon an der Wurzel packen. Die Qualität oder die Reibungslosigkeit des Coming-out wird doch nicht besser, weil man den Begriff dafür auswechselt! Auch das Ansehen der Bauern ist nicht dadurch gestiegen, daß sie plötzlich zu Landwirten mutierten. Und der Respekt vor alten Menschen steht auch nicht in ursächlichem Zusammenhang damit, ob man sie Senioren nennt oder nicht.

„Outing“ wird „Coming-out“ auch deshalb niemals ersetzen können, weil beide Wörter einfach völlig verschiedene Bedeutungen haben. Mit dem „Outing“ ist untrennbar die Unfreiwilligkeit der Bekanntgabe der Homosexualität verbunden, mit „Coming-out“ nicht. Wollte man Coming-out tatsächlich durch eine andere Bezeichnung ersetzen, weil es diese viktimisierende Konnotation hat, dann wäre allerdings „Outing“ das falscheste Wort, das man dafür wählen könnte, weil eben bei „Outing“ untrennbar diese Unfreiwilligkeit mitschwingt – also noch mehr „Veropferung“. Wenn ich an die Reaktionen mancher Schwulenbewegter auf das Bischofsouting denke, die Outing in Grund und Boden verteufelt haben, dann kann es wohl nur auf besonders intensive Neigungen zu Märtyrertum oder Masochismus zurückzuführen sein, wenn Lesben und Schwule diesen Ausdruck für ihre Selbstfindung positiv besetzen wollten.

Ersetzte man Coming-out durch Outing, müßte man sich auch wieder etwas Neues einfallen lassen, um das Bekanntmachen der Homosexualität von homophoben Personen gegen deren Willen zu benennen, denn daß es eine sprachliche Unterscheidung dieser beiden Phänomene geben muß, ist wohl gerade politisierten Lesben und Schwulen klar.

Wogegen ich nichts habe, ist die synonymische Verwendung der rückbezüglichen Form „sich outen“ für „sein Coming-out haben“, obwohl doch ein erheblicher semantischer Unterschied bleibt, dessen sich jene, die „sich outen“ so zeitgeistgemäß, aber gedankenlos verwenden, weil es hip und cool ist und „Coming-out“ schon so altväterisch klingt, meist wahrscheinlich gar nicht bewußt sind: „Sich outen“ wird immer die Konnotation des Abrupten, Überraschenden haben, während Coming-out auf einen längeren Prozeß hinweist. Aber wir sind nun mal ziemlich schlampig in unserer Alltagssprache.

 

Kurzlebiges Phänomen

Daß „sich outen“ gegenüber „Coming-out“ sich scheinbar durchsetzt, halte ich für ein ephemeres Phänomen, das nicht nur damit zu tun hat, daß es modischer oder peppiger ist, sondern damit, daß es einfach benutzerfreundlicher ist. Man kann es als Verb verwenden („Sie hat sich geoutet“) und muß es nicht umschreiben („Sie hat ihr Coming-out gehabt.“ – „Sie ist herausgekommen“ ist ja auch nicht das Gelbe vom Ei).

Was aber sicherlich – siehe oben – nicht geht, ist, zu sagen „Ich habe mein Outing gehabt“ statt „Ich habe mein Coming-out gehabt“. Oder – wie es in Kleinanzeigen einer neuformierten Schwulengruppen in Krems im XTRA! zu lesen war: Schwulengruppe in Krems bietet die Möglichkeit mit Gleichgesinnten zu plaudern… Outingprobleme? AIDS? Für uns gibt es kein Problem! …

Outing-Probleme haben vielleicht die vier geouteten Bischöfe (oder ich als deren Outer), aber sicherlich nicht Schwule, die noch „im Schrank sind“ (auch ein Ausdruck, der sich nicht durchgesetzt hat) – die haben höchstens „Coming-out-Probleme“.

Ich meine, derartige Entwicklungen kann man nicht einfach unter die Kategorie „Dem Volk aufs Maul schauen“ oder „Sprache entwickelt sich eben weiter“ einordnen. Hier handelt es sich schlicht und einfach um Unwissenheit und mangelnde Bildung. Hier kann man nur empfehlen, sich intensiver mit dem Thema Homosexualität, mit ihrer Geschichte und Theorie auseinanderzusetzen. Das haben wir „altgediente AktivistInnen“ ja auch getan, als wir vor fast 20 Jahren unsere Coming-out-Probleme bearbeiteten.

Wieder auf die Gefahr hin, daß das als Generationenkonflikt oder als konservative Haltung eingestuft wird, meine ich doch, daß sich jüngere Generationen von Lesben und Schwulen einfach zuwenig mit ihrer Geschichte als Lesben und Schwule und zuwenig mit homosexueller Theoriebildung beschäftigen. Homosexualität ist immer noch etwas Besonderes in unserer Gesellschaft, daher muß man sich als Lesbe und als Schwuler auch mit dem entsprechenden theoretischen Rüstzug ausstatten. Diese Entwicklung deckt sich allerdings mit dem ja auch ständig beklagten Phänomen, daß die politische Bildung bei Jüngeren ganz allgemein, ob homo- oder heterosexuell, immer mehr zu wünschen übrig läßt.

Die mangelnde Auseinandersetzung vieler jüngerer Lesben und Schwuler mit theoretischen Fragen zeigt sich dann auch in der sprachlichen Kompetenz und Realisation. Und deren Bedeutung sollte man nicht unterschätzen, weil Sprache das Denken beeinflußt – und umgekehrt. Und hier gibt es neben der Vermanschung der Begriffe Coming-out und Outing noch einige andere bedenkliche Beispiele, wie Lesben- und Schwulensprache in letzter Zeit wieder verludert, wobei ich betonen möchte, daß ich keineswegs ein fanatischer Anhänger der „political correctness“ bin (auch ich finde es lächerlich und überhaupt nicht zweckdienlich, einen Liliputaner als „vertikal Herausgeforderten“ zu bezeichnen).

 

Beispiel: „Gleichgeschlechtlich l(i)eben“

Seit einiger Zeit geistert etwa der Begriff „gleichgeschlechtlich l(i)eben“ durch die schwul/lesbische Landschaft Österreichs – ein Verein führt ihn sogar im Untertitel seines Namens. Kann man sich unter „gleichgeschlechtlich lieben“ – à la rigueur – noch etwas vorstellen, ist die Lesart ohne dem „i“ in der Klammer sprachlich und semantisch – mit Verlaub – ein ziemlicher Schmarrn. Wie, bitte, will man „gleichgeschlechtlich leben“? Wie tun das dann die Heteros? Leben die verschiedengeschlechtlich? Oder andersgeschlechtlich? Bleiben wir doch beim Altbewährten: Wir leben lesbisch und schwul! Noch besser: Wir leben offen lesbisch und offen schwul. Das war vor zehn Jahren der gängige Ausdruck. Heute nimmt leider wieder die Spezies der „bekennenden“ Lesben und Schwulen überhand – was nun eben den Beigeschmack hat, eine Sünde zu beichten. Ich habe jedes Verständnis dafür, daß eine neue Generation das Alte und Althergebrachte ablehnt, sich davon abgrenzen, etwas Neues erfinden will, aber dann bitte etwas Besseres – und keinen Rückschritt! Im Vergleich zu „schwul“ und „lesbisch“ hat „gleichgeschlechtlich l(i)eben“ [jüngst auch gehört: „homosexuell empfindend“] in meinen Augen etwas Anpaßlerisches und um das Verständnis der Normen-Gesellschaft Heischendes.

Ich rede hier keinesfalls von isolierten Einzelphänomenen – das fehlende Bewußtsein hat auch den AIDS-Speak erfaßt. Ich dachte, ich seh’ nicht recht, als ich in der Februar/März-Ausgabe des con.nect gleich zweimal das Wort „AIDS-Opfer“ lesen mußte. Da haben wir in den 80er Jahren jeden Nichtbetroffenen, der diesen Ausdruck verwendet hat, verbal in Grund und Boden gestampft und zur Sau gemacht, bis dieses verpönte Vokabel endgültig aus unserer Lexik, unserem Sprachschatz, getilgt schien – und dann feiert es 1997 ausgerechnet in einem Schwulenmagazin wieder fröhliche Urständ! Also wenn das der Zeitgeist ist…

 

Ignoranz und Geschichtslosigkeit

Auch diesen Lapsus kann man nicht tolerant damit entschuldigen, die Sprache entwickle sich halt weiter. Solche Ausdrucksweise ist nämlich nicht Ausdruck für neue revolutionäre Weiterentwicklungen, sondern in erster Linie Ausdruck für fehlendes Bewußtsein, mangelnde Auseinandersetzung mit der Thematik, Ignoranz, Unwissenheit, Geschichtslosigkeit – und dagegen kann man ja etwas tun. Und ich denke, es ist fair, die Leute, die solche Ausdrucksweisen verwenden, darauf aufmerksam zu machen und sie zum Nachdenken und zum Diskurs darüber einzuladen.

Irgendwie scheint mir diese Debatte auch ziemlich österreichisch zu sein, mir ist nicht bekannt, daß es in anderen Ländern (oder Sprachen) ähnliche Verwirrungen, Verwischungen und Mißverständnisse gibt. Sicherlich: Es ist ganz logisch, daß breite Bevölkerungskreise – inklusive der JournalistInnen, die halt leider in diesem Bereich auch viel Unheil anrichten können – mit dem Wort „Coming-out“ nicht viel anfangen können, weil eben viel zuwenig über lesbische und schwule Zusammenhänge im Mainstream debattiert wird. Übrigens wissen ja viele Heterosexuelle auch nicht, daß sie „heterosexuell“ sind. Diese Wissens- und Bildungslücken können jedoch kein Grund sein, defätistisch hinzunehmen, wie das mit Coming-out zu Beschreibende mit einer gefälligeren, aber falschen Bezeichnung belegt wird. Unsere Aufgabe muß es sein, hier gegenzusteuern.

Ich halte es auch für eine ziemlich akademische Überlegung, daß durch die Ablöse von Begriffen das schwul/lesbische Waffenarsenal im Kampf um Befreiung neu geschärft würde. Das ist eine Illusion, denn ein einzelnes Wort allein kann das einfach nie und nimmer leisten. Die Geschichte zeigt es uns ja: Daß alle zwanzig Jahre ein neuer Begriff für „Lesbisch- und Schwulsein“ eingeführt wurde, war letztlich für unsere Emanzipation ziemlich bedeutungslos. Man erinnere sich bloß: Auf homosexuell folgte conträrsexuell, invertiert, dann Urning, später homophil, dann schwul, zwischendurch probierte man es mit eigen, gay, homosozial und was weiß ich noch. Alte, als despektiv und pejorativ empfundene Begriffe durch immer neue, als euphemistisch wahrgenommene auszutauschen ist reine sprachliche Oberflächenkosmetik, die die darunterliegende negative Haltung der Gesellschaft gegenüber Lesben und Schwulen nicht zu bekämpfen hilft.

Ich fürchte daher, daß es auch nicht wirklich etwas bringen wird, wenn wir alle 20 Jahre ein anderes Wort für unser Herauskommen als Lesbe und als Schwuler kreieren. Wie gesagt: Nichts dagegen, daß man „herauskommen“ bzw. „sein Coming-out haben“ der Abwechslung willen hin und wieder mit „sich outen“ variiert, aber man sollte sich auch darauf besinnen, wie Sprache das eigene Denken beeinflußt und was Sprache nicht leisten kann.