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Der Gesellschaft einen Spiegel vorgehalten

Erschienen am 17. Oktober 1995

Das Café Landtmann platzte ob des Medienandrangs fast aus allen Nähten.

Der Gesellschaft einen Spiegel vorzuhalten war einer der Hauptzwecke des Bischofs-Outing – und er hat sich erfüllt: Niemals zuvor haben sich so viele ZeitgenossInnen in Sachen Homosexualität entlarvt, und zwar meist als verlogen und heuchlerisch: KommentatorInnen, PolitikerInnen und andere Wohlmeinende, die noch nie einen Gedanken daran verschwendet haben, welche Diskriminierungen Lesben und Schwule in diesem Land erdulden müssen, sorgten sich plötzlich um die Menschenwürde und Intimsphäre von vier Männern um die Wette, deren homosexuelle Neigungen bekannt gemacht werden sollten. Ebenso großes Kopfzerbrechen bereitete diesen Leuten, die sich für die potentiellen Erfolge der Lesben- und Schwulenbewegung bisher nicht einmal marginal interessierten, die suggestiv bejahend gestellte Frage: Könnte das Outing nicht den Zielen der Bewegung und dem Image der Schwulen schaden? Allerdings wurde diese voreilige und meiner Meinung nach völlig falsche Schlußfolgerung nicht näher begründet. Bei dieser Behauptung hofft man wohl, daß sie zu einer selbsterfüllenden Prophezeiung wird. Man tat geradezu so, als wären Lesben und Schwule bisher vor lauter Verständnis und Zuneigung der Gesellschaft schier erdrückt worden und als müßte ein jäher Liebesentzug nun schwerste Folgen haben. Aber noch haben wir mehr zu gewinnen als zu verlieren!

Etliche KommentatorInnen hatten auch nicht das geringste Logik-Problem damit, in ein und demselben Satz einerseits zu behaupten, Homosexualität sei nichts Ehrenrühriges oder Negatives, und andererseits die Aussage, die vier Bischöfe hätten homosexuelle Neigungen, sodann als Beleidigung und Rufschädigung zu qualifizieren.

 

Unfreiwillige Outings

Dem Bischofs-Outing folgte auch eine Reihe weiterer unfreiwilliger Outings: Offen Schwule outeten sich als Ahnungslose in Sachen Zeitgeschichte („Krickler heftet den Schwulen den rosa Winkel an!“) und als politische Masochisten, die ihr Herz für ihre Peiniger entdecken. Wie soll die Gesellschaft je Respekt und Anerkennung für Schwule haben, wenn Schwule nicht einmal vor sich selbst Respekt haben, sondern in sagenhafter politischer Bewußtlosigkeit eine verinnerlichte Minderwertigkeit ständig vor sich hertragen? Wenn Homosexualität und Heterosexualität in jeder Hinsicht gleichwertig sind, dann muß man doch beides von jeder und jedem sagen können. Na also! Es ist eindeutig zuviel von mir als stolzem selbstbewußtem Schwulen verlangt, mich für die Homosexualität bei anderen zu genieren. Sie bei anderen zu verschweigen wäre eine Beleidigung auch meiner Person, eine Zumutung! Wer das als Lesbe oder Schwuler nicht versteht, ist über das Anfangsstadium der Emanzipation noch nicht hinausgekommen.

Natürlich verschließe ich nicht die Augen vor der Realität. Viele Lesben und Schwule müssen mit allerlei Nachteilen rechnen, wenn ihre Homosexualität bekannt wird. Andererseits muß man aber auch bedenken, daß die jetzige Diskriminierung, der auch ich ausgesetzt bin, letztlich nur daran liegt, daß sich so viele Lesben und Schwule verstecken. Warum also nicht den Spieß umdrehen? Statt von mir Solidarität im Schweigen zu verlangen, damit ich niemandem schade, verlange ich von allen Lesben und Schwulen Solidarität im Herauskommen, damit jener Zustand eintritt, wo wir schließlich zu viele sind, um diskriminiert zu werden. Natürlich ist ein solcher Kraftakt unter den gegebenen Umständen schwierig, aber irgendwann müssen wir diesen Teufelskreis aus Verstecken und Diskriminiertwerden durchbrechen. Die Diskussion hat es ja überdeutlich gezeigt: Lesben und Schwule werden gnädig geduldet, solange sie versteckt und unsichtbar bleiben. Aber wehe, wir hauen einmal auf den Tisch, weil nichts weitergeht bei unseren Forderungen! Die Botschaft, die uns die Medien mit ihrer einhelligen Inschutznahme der Bischöfe senden, ist klar: Bleibt in euren Verstecken, dann passiert euch nichts!

 

Traurige Tropen

Ein Kapitel für sich sind die Reaktionen der Bewegung. Ein Teil von ihr hat sich durch seine Reaktionen eher ein Armutszeugnis ausgestellt, wobei man den Neid und die Mißgunst – offenbar die höchste Form von Anerkennung in Österreich – in der Bewegung nicht übersehen darf. Viele ihrer ExponentInnen haben offenbar nicht kapiert, daß sie von den bürgerlichen Medien nur benützt werden, um gegen ihre eigenen Anliegen auszusagen. Dazu stellten ihnen die Medien dann auch großzügig mehr Raum zu Verfügung, als sie jemals zu anderen Themen bekommen haben und werden. Manche AktivistInnen haben auch die selektive Wahrnehmung der Medien nicht durchschaut. Während sie etwa über die Ablehnung der HOSI Linz triumphierend berichteten, wurde die Aussendung der HOSI Salzburg, die sich am kompromißlosesten von allen hinter die Aktion stellte, totgeschwiegen. Ganz augenfällig war doch auch, daß ab einem bestimmten Zeitpunkt nur mehr negative Leserzuschriften in den Mainstream-Medien veröffentlicht wurden!

Andere VertreterInnen der Bewegung wiederum kritisierten, daß keine Beweise vorgelegt wurden. Beweise wofür? Warum? Hier gibt es nichts zu beweisen! Hier sind Lesben und Schwule abermals ins Denkschema der Hetero-Gesellschaft verfallen, die gerne die Homosexualität an sich auf die Anklagebank gesetzt hätte. Hätte man gesagt, die vier Bischöfe haben heterosexuelle Neigungen – kein Mensch hätte Beweise eingefordert.

 

Armutszeugnis

An einen besonderen Tiefpunkt gelangten indes die Kollegen vom XTRA!. Seitenweise wurde da über Dinge gerätselt, vermutet und spekuliert, deren Klärung mit einem einfachen Telefonanruf bei mir möglich gewesen wäre. Und man muß auch ihnen vorwerfen, daß sie naiv alles für bare Münze nahmen, was sie in anderen Zeitungen lasen, und sich dabei noch dümmer stellten, als sie sind. Daher einige Klarstellungen: Die Aktion war nie als eine der HOSI Wien geplant (vgl. Presseaussendung vom 7. Juli, zitiert in den LN 3/1995, S. 24); ich habe von Anfang an gesagt, nur „sexuelle Neigungen“ outen zu wollen; ich habe immer gesagt, daß ich keine Beweise vorlegen werde, denn hier gehe es um nichts Unrechtes, was bewiesen werden müßte! Daß es die Medien nicht glauben wollten, ist nicht mein Problem.

Und was das Asyl in Dänemark betrifft, so ist das überhaupt nicht spruchreif, solange die Prozesse nicht zu Ende geführt sind. Aber es stimmt, daß mein Ehemann Peter und ich im August zwei wunderschöne Wochen lang mit unseren Motorrädern auf den dänischen Inseln und in Südschweden herumkurvten.

 

Zum Kotzen

So sehr ich die Ängstlichkeit vieler Lesben und Schwuler (auch unter den AktivistInnen) hinsichtlich der Folgen einer Aktion wie des Outing verstehen kann und sie auch akzeptiere, so sehr hat mich die häßliche Fratze abgrundtiefen Neides, stumpfer Dummheit und traurigen schwulen Selbsthasses angewidert, die einem aus gewissen Beiträgen im XTRA!, aber auch aus anderen Medien entgegensprang.

Da entblödeten sich angebliche Aktivisten nicht im geringsten, den Sabber und Geifer eines Alfred Worm und anderer homophober Journalisten aufzulecken und wiederzukäuen. Da waren sich vermeintliche AIDS-Vorkämpfer und Schwulenberater nicht zu gut, der Mainstream-Neutralisierungsmasche durch Pathologisierung auf den Leim zu gehen. Kaum, daß einige Medien – offenbar in der Annahme, mich damit am besten ausschalten zu können – meine HIV-Infektion ins Spiel brachten und das Outing in die Kategorie „herostratische Torschluß-Panik-Aktion eines demnächst abkratzenden Verzweifelten“ einordneten, echote es auch schon aus der Bewegung: Amoklauf eines Schwerkranken, Verzweiflungstat eines Don Quichote. Den Vogel schoß dabei der berüchtigte AIDS-Aasgeier aus der XTRA!-Redaktion ab. Er phantasierte bereits von meinem „finalen Schlag“, meinem „Vermächtnis“ und meinem „letzten, verzweifelten Rundumschlag“. Hätte ich gewußt, daß mein Gesundheitszustand eine so große Rolle spielt, hätte ich zu den Pressekonferenzen natürlich ärztliche Bulletins mitgebracht, um zu zeigen, daß das HIV mein Hirn noch nicht devastiert hat (wie einige ernstlich meinten) und ich immer noch bei Sinnen bin.

Auch hier fielen Leute, die sich selbst als schwulen- und/oder aidsbewegt definieren, ins heterosexuelle Mainstream-Muster. HIV- und AIDS-Betroffene werden nur „ernstgenommen“, wenn sie angepaßt und brav ihre Opferrolle spielen. Fallen sie aus dieser Rolle, dann hat man nicht die geringsten Hemmungen zu versuchen, sie mit ihrem HIV-Status fertigzumachen.

Für mich hat jetzt der Kampf um die Emanzipation von Lesben und Schwulen daher eine neue Facette und Dimension bekommen: Für ein freieres Klima in diesem Land zu kämpfen ist schon deshalb notwendig, damit immer weniger Betroffene an die Berater des Rosa Lila Tips geraten.

Auch wenn dies jetzt Aasgeier & Co in tiefe Verzweiflung stürzt – ich muß es sagen: Ich hatte nie vor, nach den Outing-Aktionen mit der Schwulenbewegung aufzuhören, egal wie sie ausgehen werden. Für mich war das Outing immer nur eine Aktion wie viele andere, bei denen ich mitgemacht habe. Und ich werde auch nicht aufhören! Wenn die Paragraphen aufgehoben werden, gibt’s ja immer noch eine Menge zu tun. Wenn nicht, muß man gegen sie weiterkämpfen.

Und noch etwas: Ich habe keineswegs vor, demnächst abzukratzen. Alle diesbezüglichen Hoffnungen muß ich leider enttäuschen. Die jüngste Erhebung meines Immunstatus (nach der Outing-Aktion) hat sogar ergeben, daß meine T4-Zellen wieder um 26 Prozent gestiegen sind. Vom therapeutischen Standpunkt aus kann ich also politischen Aktionismus nur empfehlen (wetten, daß jetzt wieder jemand sagt, ich mache das alles ja nur ganz egoistisch und rücksichtslos wegen der lebensverlängernden Wirkung!).

 

Keine wirkliche Gefahr

Ich bin jedenfalls mit dem Outing sehr zufrieden. Und das sage ich nicht, um mir selbst was vorzulügen. Für mich persönlich war allein schon das Gewinsel von Andreas Khol im ZiB-Abendstudio es wert, die Aktion durchzuführen. Oder die Doppelconférence von Horst Friedrich Mayer und Margit Czöppan in der ZiB 1 am 1. August [beides hier nachzusehen].

Die wichtigsten Effekte werden in unserer Outing-Berichterstattung an anderer Stelle [in diesem Heft] erwähnt. Das Outing hätte allerdings noch viel größere Wirkung haben können, wenn sich die Bewegung nicht distanziert, sondern voll Druck gemacht hätte. Stellt euch einmal vor, wie das gewesen wäre – man hätte wirklich Angst vor den Lesben und Schwulen haben können! So aber hat die Politik gesehen: Im großen und ganzen sind wir doch bieder, angepaßt und brav – und vor allem zerstritten, eifersüchtig und daher „spaltbar“. Es droht also keine echte Gefahr von uns!

Mir war von Anfang an klar, wie die Bewegung reagieren wird. Ich bin ja kein Träumer, sondern kann die Lage nach 15jähriger Tätigkeit in der Bewegung natürlich realistisch einschätzen. Trotzdem habe ich die Aktion gemacht, denn – wie gesagt – es gab eine Reihe positiver Effekte. (Ich mußte mich halt nur etwas mehr anstrengen, um auch unter Beweis zu stellen, daß mich nichts und niemand, auch nicht die Bewegung, von meinem Vorhaben abbringen konnte.) Da man in Österreich in Wirklichkeit seine Ruhe und nicht ständig dieses große Mediengeschrei zum Thema Homosexualität haben will, wird man, wenn schon nicht aus demokratischer und humanistischer Überzeugung, so doch um dieser Ruhe willen die Paragraphen schließlich abschaffen. Und damit diese Ruhe wieder einkehren kann, muß man vorher eben ein lautes Getöse veranstalten.

Kurts Kommentar LN 4/1995