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Nur mehr Österreich und Albanien oder:
Perestrojka auch bei uns! 2. Teil

Erschienen am 18. April 1990

Irgendwie fehlen mir diesmal die Worte. Meine KritikerInnen haben offenbar recht behalten – ich hätte nicht immer so übertreiben sollen! Denn nun, da ich sämtliche Entrüstungsvokabeln bereits verbraucht habe und keine Steigerung mehr möglich ist (offenbar war ich im guten Glauben, der Gipfel der Ungeheuerlichkeiten, die in diesem Land passieren könnten, sei erreicht), schicken sich die österreichischen Institutionen an, diese ihre Ungeheuerlichkeiten noch zu überbieten!

Wobei meine KritikerInnen dennoch entgegenhalten muß: Nicht ich habe die Empörungsspirale in inflationärer Weise weitergetrieben – es waren die Institutionen, die die Skandalinflation heraufbeschworen haben. Für ihre jetzigen Superlative hat die Lexik unserer Sprache aber längst keine angemessenen Benennungen und Bezeichnungen mehr vorrätig. Da muß der Wortschatz passen. Und ich ebenfalls.

Österreich ist neben Albanien das letzte Ostblockland. Dieser in meinem Leidartikel in den LN 1/1990 aufgestellten These hat sich inzwischen auch das profil angeschlossen, das der von und in Österreich „verschlafenen Perestrojka“ eine zweiteilige Titelserie vor kurzem widmete. Und Österreichs Institutionen bemühen sich tagtäglich, die Richtigkeit dieser These unter Beweis zu stellen – auch im Bereich der Lesben- und Schwulenverfolgung, wie zwei jüngste Beispiele der österreichischen Justiz zeigen.

Oder wo sonst noch in Europa außer in Tirana würde sich der Verfassungsgerichtshof eines Landes erlauben, ein derart lächerliche „begründetes“ und unwissenschaftliches Urteil über die Verfassungswidrigkeit bzw. -konformität der höheren Schutzaltersgrenze für homosexuelle Handlungen zu fällen? Nirgendwo sonst! Dieses beschämende Urteil, von einem „Erkenntnis“ kann man wohl in diesem Fall beim besten Willen nicht sprechen (dafür fehlt die Erkenntnis), ist ein Armutszeugnis sondergleichen für die österreichische Justiz – der Richtersenat war offenbar aus HausmeisterInnen zusammengesetzt, die sich mit Talaren verkleidet haben, um ihren Spruch zu legitimieren.

Oder wo sonst in Europa außer in Österreich und in Albanien würde ein Staatsanwalt es wagen, eine Publikation wegen z. B. folgender Textstelle konfiszieren zu wollen: „‚Meine Freundin verführt mich jedesmal nach der Damensauna. Was soll ich tun?‘ Gundula J., Wien/Mosel – Antwort Dr. Climax: ‚Tu das, was euch beiden Spaß macht!‘“? Ja – nirgendwo sonst!

Ich habe jedenfalls die Nase voll! Elf Jahre braves Lobbying und bittendes Antichambrieren sind genug. Jetzt hilft nur mehr ein Rosa Wirbel. Andere Saiten müssen aufgezogen werden, wollen wir endlich etwas erreichen! Und dafür ist’s wirklich höchst an der Zeit, denn:

WER ZU SPÄT KOMMT, DEN BESTRAFT DAS LEBEN!

 

 

Kurts Leidartikel LN 2/1990