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Beitrag in den gegenstimmen Nr. 10 (Dezember 1982)

Rosa Liebe unter roten Sternen

Veröffentlicht am 1. Dezember 1982
In der Zeitschrift gegenstimmen – Untertitel: „Solidarität mit der demokratischen und sozialistischen Opposition in Osteuropa“ – veröffentlichte ich im Dezember 1982 einen längeren Artikel über Homosexualität in Osteuropa, wo sie damals bestenfalls stillschweigend toleriert, schlimmstenfalls mit Gefängnis- und Umerziehungsstrafen sanktioniert war. Der Beitrag wurde in mehreren ausländischen Zeitschriften nachgedruckt.

Auch in der slowenischen Zeitschrift „Viks“ wurde der Beitrag (gekürzt) nachgedruckt.

Die gesetzlichen Bestimmungen zur Homosexualität sind in den Ostblockstaaten sehr unterschiedlich. Die liberalste Gesetzgebung besitzt Polen, sie ist nur mit jener in den fortschrittlichsten Staaten Skandinaviens zu vergleichen: Es gibt überhaupt keine gesetzliche Diskriminierung von Schwulen und Lesben, auch die Mindestaltersgrenze liegt wie für Heterosexuelle bei 15 Jahren. Die Strafgesetzbücher Bulgariens, der DDR, der ČSSR und Ungarns sowie der jugoslawischen Republiken Kroatien, Montenegro und der Provinz Vojvodina hingegen diskriminieren Homosexuelle durch eine höhere Altersgrenze. Sie liegt für heterosexuellen Verkehr zwischen 14 und 16 Jahren, für Homosexuelle jedoch bei 18, in Bulgarien sogar bei 21 Jahren. Außer in Jugoslawien gelten die Gesetze sowohl für männliche als auch für weibliche Homosexualität. Sie entsprechen im großen und ganzen den Gesetzesbestimmungen der meisten westeuropäischen Staaten und auch Österreichs.

Ein Totalverbot homosexueller Handlungen herrscht nur noch in der Sowjetunion, in Rumänien, wo es auch für Lesbianismus gilt, und in den Teilrepubliken Bosnien und Herzegowina, Mazedonien, Serbien und in der Provinz Kosovo. In Jugoslawien sieht das Gesetz Höchststrafen von einem Jahr, in Rumänien und der Sowjetunion bis zu fünf Jahren vor. Dies, obwohl alle schwulendiskriminierenden Gesetze in der Sowjetunion nach der Oktoberrevolution abgeschafft wurden.

Sah das Strafrecht im 19. Jahrhundert noch die Entziehung aller Standesrechte und die Verbannung nach Sibirien vor, enthielten die Strafgesetzbücher der Russischen Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik aus den Jahren 1922 und 1926 keine Schwulenparagraphen mehr. Die Gesetze in Aserbaidschan, Georgien, Turkmenien und Usbekistan kriminalisierten Homosexualität ungeachtet der Liberalisierung in Rußland auch in den 20er Jahren. 1934 jedoch erließ das Präsidium des Sowjetkongresses der UdSSR eine Verordnung, die den Republiken zur Auflage machte, ihre Strafgesetzbücher durch einen Homosexuellenparagraphen zu ergänzen. Während der Zeit des stalinistischen Terrors wurde auch häufig davon Gebrauch gemacht. Homosexuelle mußten Deportation, Lagerhaft und sogar ihre physische Ausrottung befürchten, wurde „homosexuell“ doch mit „Verräter“ und „Spion“ gleichgesetzt. Von diesem Trauma haben sich die Schwulen in der Sowjetunion bis heute nicht erholt, obwohl das Gesetz, das homosexuelle Handlungen verbietet, heute relativ tolerant und selten angewendet wird. Verurteilungen kommen jedoch vor – vor allem, wenn sich Homosexualität mit Dissidenz paart, wie die Fälle Trifonow, Paradschanow und Petkus* beweisen.

 

Gesellschaftliche Repression

Aber die gesetzliche Unterdrückung ist ja nur eine von vielen Formen einer globalen Repression, deren weniger objektivierbare und verallgemeinerbare Ausprägungen sich im Alltag jedes einzelnen Homosexuellen niederschlagen: in der Familie, am Arbeitsplatz, in der Ausbildung und in der Freizeit.

Der weitaus größte Teil der Lesben und Schwulen Osteuropas lebt im „Schrank“, „in the closet“, tarnt sich also, verbirgt seine sexuelle Orientierung aus Angst vor administrativer und gesellschaftlicher Diskriminierung. Nur wenige Verwandte und Freunde – wenn überhaupt – wissen davon. Man heiratet, was auch sonst von Vorteil ist. Denn als Alleinstehende(r) ist es – sofern man keine Beziehungen hat – z. B. unmöglich, eine Wohnung zu bekommen. Lesben und Schwule müssen auch in ständiger Angst leben, ihren Arbeitsplatz zu verlieren, falls ihre sexuelle Orientierung bekannt würde, insbesondere Beamte und Angestellte bei den Staats- und öffentlichen Sicherheitsorganen.

Wie überall auf der Welt legen auch im Ostblock die Behörden Homosexuellenkarteien, sogenannte „rosa Listen“, an. Das hat üblicherweise keine unmittelbaren bösen Folgen, kann aber in Kleinstädten oder wenn es den Behörden paßt, unangenehm werden und gegen den/die Betroffene(n) verwendet werden, z. B. bei Regimekritik.

In der Sowjetunion werden Homosexuelle vom KGB zu einer Spitzeltätigkeit und zur Vergrößerung der rosa Listen erpreßt. In Ungarn werden „gefährliche Homosexuelle“, als solche gelten z. B. Prostituierte, „C2 75“ eingestuft. C2-Bürger können nie einen Auslandspaß erhalten, 75 steht für „gefährlicher Homosexueller“.

Nur Rumänien fällt durch seine hysterische Antihomosexualität besonders aus dem Ostblock-Rahmen. Nicht nur, daß homosexuelle Handlungen auch unter Erwachsenen mit fünf Jahren Gefängnis bedroht sind – Homosexuelle werden darüber hinaus auch systematisch verfolgt. Ihre Situation ist besonders tragisch. Auf öffentlichen Toiletten werden Polizisten in Zivil als Lockvögel eingesetzt. Dort packen sie ihre Schwänze aus, um Schwule zu ködern. Wer anbeißt, wird verhaftet, kommt in die Schwulenkartei und muß mit beruflichen Strafversetzungen rechnen. Die bei Razzien festgenommenen Touristen aus anderen Ostblockstaaten werden sofort ausgewiesen. Wird man bei sexuellen Handlungen erwischt, landet man im Gefängnis. Selbst über Westtouristen sind schon Haftstrafen verhängt worden. Rumänische Homosexuelle werden auch in psychiatrische Kliniken eingewiesen, wo sie mit Elektroschocks behandelt werden. Auch Kastration von Homosexuellen ist nichts Außergewöhnliches. Die Selbstmordrate ist erschreckend hoch. Viele unterziehen sich „freiwillig“ einer menschenunwürdigen „Normalisierungstherapie“. Unter Rumäniens Schwulen herrscht großes Mißtrauen – müssen sie doch hinter jedem einen linientreuen Spitzel vermuten –, was selbst die primitivsten Formen von Kontaktaufnahme unter Schwulen erschwert bzw. unmöglich macht. Viele Schwule sind spurlos und auf Nimmerwiedersehen verschwunden.

 

Totschweigen

Eine der wirkungsvollsten Arten der Repression ist das Totschweigen. Homosexualität ist in den meisten Ländern nicht einmal Gegenstand der Sexualpädagogik, ja sogar ihre Thematisierung in der Kunst sucht man fast vergeblich (Ausnahmen bestätigen die Regel). Diese mangelnde Aufklärung und Auseinandersetzung mit der Homosexualität ermöglichen auch das Fortbestehen uralter Vorurteile gegenüber Homosexuellen in der Bevölkerung, die praktisch nichts Konkretes über sie weiß und bestenfalls als Krankheit ansieht.

Denn auch die Wissenschaft hat die Homosexualität vernachlässigt. Eines der selten Bücher veröffentlichte ein tschechoslowakisches Ärzteteam im Jahre 1959: Homosexualita u muže (Homosexualität beim Mann). Als Freuds Schriften zur Sexualtheorie auf tschechisch herausgegeben wurden, mußte man sich als Arzt ausweisen können, um den dritten Band, der hauptsächlich von Homosexualität handelt, zu erwerben. In der DDR sorgen Wissenschaftler wie Siegfried Schnabl [1927–2015] für liberalere Lehrmeinungen, in Ungarn Béla Buda [1939–2013].

Die nichtvorhandene Diskussion ist auch für jenen Zustand bezeichnend, den man „Waffenstillstand“ nennen könnte: Die Behörden – sieht man von Rumänien ab – dulden die wenigen Freiräume der Lesben und Schwulen unter der stillschweigenden Voraussetzung, daß die Homosexuellen unsichtbar bleiben und sich mit diesen bescheidenen Freiräumen begnügen. Grob gesprochen wird weder etwas für noch etwas gegen die Homosexuellen getan. Bei näherem Hinsehen erkannt man natürlich Nuancen, die sich größtenteils aus der Tradition des betreffenden Landes erklären lassen.

Am modernsten, auf- und abgeklärtesten ist sicherlich die DDR, deren Haltung zu Schwulen und Lesben durchaus als „vorsichtige Toleranz“ bezeichnet werden kann. Nicht umsonst war das Berlin der Zwischenkriegszeit die schwule Hauptstadt Europas. In der DDR kommt Homosexualität in den Schulbüchern für den Sexualkundeunterricht zumindest vor.

Die Haltung der polnischen Gesellschaft hingegen ist durch die katholische Tradition geprägt, die Homosexualität ablehnt, ja sogar verurteilt. Die Gesellschaften auf der Balkanhalbinsel wiederum sind durch ihren traditionellen Machismo und Mann-Chauvinismus und die daraus resultierende Schwulenverachtung gekennzeichnet. In Mittelasien gehen zwar Männer Hand in Hand durch die Straßen, umarmen und küssen sich (das kann man auch in Albanien beobachten), aber dies bedeutet keineswegs eine entkrampftere Haltung zur (Homo)Sexualität – im Gegenteil: Sie wird in diesen Regionen stark tabuisiert.

 

Schwule Subkultur

Wie überall auf der Welt lernen sich auch im Ostblock Schwule und Lesben dadurch kennen, daß sie ihre Augen offen halten. Durch Blickkontakte kann man überall auf der Straße andere Homosexuelle als solche erkennen. Natürlich sind auch in Osteuropa Parks, öffentliche Toiletten, bestimmte Promenaden, Bahnhöfe, Bäder, aber auch Friedhöfe Treffpunkte, an denen man Kontakt zu Schwulen aufnehmen kann.

In den größeren Städten findet sich aber auch eine homosexuelle Subkultur. Als Mekka, als Amsterdam des Ostens gilt Budapest, dessen Subkultur-Infrastruktur es durchaus auch mit der Wiens aufnehmen kann. Es gibt ein reines Schwulen- und Lesbencafé, Dampfbäder, die zu 80 Prozent von Schwulen aufgesucht werden, und einige Cafés, die zwar gemischtes Publikum haben und auf Anhieb nicht als Homosexuellentreffs zu erkennen, aber Insidern als solche bekannt sind.

 

Treffs in Discos, Hotelbars und auf FKK-Stränden

Diese Cafés, Restaurants und Hotelbars mit gemischtem Publikum sind die häufigste Form von Schwulentreffs in den größeren Städten Osteuropas. Da diese Lokale aber fast ausschließlich vom Staat betrieben werden, sind sie auch der Gnade der Behörde ausgeliefert. So hat z. B. ein als Homotreff bekanntes Lokal in Leipzig seine Preise drastisch erhöht, um die vielen Schwulen während der Leipziger Dokumentarfilmwoche fernzuhalten, wie der Ober Gästen erklärte, die sich über die hohen Preise beschwerten.

Prag wiederum besitzt die einzige „inoffizielle“ schwule Diskothek im Ostblock, die natürlich weit über die Landesgrenzen hinaus berühmt ist.

Andere Treffpunkte sind die Strände. Am Schwarzen Meer muß man seine Augen offen haben, um Kontakt zu knüpfen. Auf offiziellen FKK-Stränden, die üblicherweise zu einem hohen Prozentsatz von Schwulen besucht werden, ist es leichter: Solche gibt es in Świdry an der Weichsel bei Warschau und in Chałupy auf der Halbinsel Hel sowie an der litauischen, lettischen und estnischen Ostseeküste, wo im Sommer Schwule aus der ganzen Sowjetunion hinkommen. Ein beliebtes Sommerziel sowjetischer Schwuler ist auch die kaukasische Schwarzmeerküste. Die jugoslawischen FKK-Strände werden hingegen vorwiegend von ausländischen Homosexuellen frequentiert. Auch das Badegelände „Palatinus“ auf der Budapester Margareteninsel ist ein bevorzugter Schwulentreffpunkt.

 

Schwulenbewegung – anders als im Westen

Überall findet auch eine Abwanderung der Schwulen und Lesben aus den engen ländlichen Gebieten und Kleinstädten in die Ballungszentren, die bessere Kontaktmöglichkeiten und größere Anonymität bieten, statt.

An eine organisierte schwul-lesbische Emanzipationsbewegung à la Westen ist natürlich nicht zu denken. Vereine außerhalb parteilicher Kontrolle sind ja in den meisten Staaten unmöglich. In Ungarn ist es zwar leichter, eine Vereinigung außerhalb der Parteikontrolle zu gründen, aber alle Vereine müssen ihre Mitglieder namentlich den Behörden bekanntgeben. Bisher haben sich noch nicht viele Homosexuelle gefunden, die das wagen wollen.

Den wenigen engagierten Homosexuellen im Ostblock, die sich gegen ihre Diskriminierung auflehnen, schwebt ohnehin nicht die westliche Schwulenbewegung mit Demonstrationen und allzu großem öffentlichem Aufsehen vor, wenn sie sich Gedanken über die Verbesserung ihrer Lage machen.

Informelle Gruppen von Homosexuellen, die hauptsächlich schwule Emanzipationspolitik diskutieren, gab und gibt es natürlich: eine in Wrocław hat sich wieder aufgelöst, aber in Budapest und Warschau existieren sie nach wie vor. (Homosexuelle Freundeskreise und mehr oder weniger geschlossene Privatzirkel gibt es natürlich überall, denn diese sind ja die häufigste Kommunikations- und Kontaktform für Schwule und Lesben in den an subkulturellen Treffpunkten armen Städten Osteuropas, aber diese Freundeskreise sind meist recht unpolitisch. Man ist zufrieden mit dem, was man hat.)

Auch in diesem Bereich ist die DDR am fortgeschrittensten. Im Frühjahr 1982 trafen sich auf Einladung der Evangelischen Akademie zum erstenmal Lesben und Schwule aus allen Teilen der DDR zu einem Erfahrungsaustausch im Sprachenkonvikt der Evangelischen Kirche der DDR in Berlin. Das größte Problem ist auch für die Homosexuellen in der DDR, wie man (selbst völlig unpolitische) Gruppen bilden könnte, um sich gegenseitig kennenzulernen, zu helfen und der Isolierung zu entgehen, ohne mit der bestehenden Rechtslage in Konflikt zu geraten.

Wo können sich solche Gruppe anhängen, damit bei der SED der Verdacht, man wolle eine schwule Solidarność bilden, erst gar nicht aufkäme? Dr. Schlegel, Leiter der Beratungsstelle für Familien- und Sexualfragen Berlin, Bezirk Mitte (DDR), lehnte auf diesem Treffen die Aufforderung, eine Schwulengruppe zu leiten, mit dem Hinweis ab, es gebe in seiner Beratungsstelle schon eine, allerdings mit Heteros gemischte Gruppe. Schließlich regte man an, es in der Evangelischen Kirche zu probieren. Inzwischen gibt es schon informelle Gruppen innerhalb der Kirche in mehreren DDR-Städten.

 

Thematisierung der Homosexualität

Homosexualität wird – neben der DDR – nur in Ungarn, Polen und Jugoslawien in irgendeiner Form öffentlich thematisiert. In Ungarn findet dies vor allem im journalistischen Bereich statt. Neben dem „Telefondoktor“ im August 1982 (allerdings in haarsträubender Weise) beschäftigten sich jüngst auch zwei Artikel in ungarischen Zeitungen mit der Homosexualität: Das Nyári (Sommer-)Magazin der vor allem auf dem Land verbreiteten Zeitschrift Ország-Világ vom Juni druckte einen ausführlichen Bericht über Homosexualität ab. Ebenfalls im Juni 1982 erschien im Herrenmagazin Ádám ein längerer Bericht über das Thema, allerdings von zweifelhafter Qualität.

In Ungarn wird hie und da auch schwule Literatur übersetzt und herausgegeben – z. B. Isherwood, Baldwin (Giovannis Zimmer), Gide, Roger Peyrefitte. Auch „Schwulenfilme“, wie das Tuntendrama Ein Käfig voller Narren laufen ab und zu in ungarischen Kinos. Károly Makk drehte 1982 einen Film über die Liebe zwischen zwei Frauen: Ölelkező tekintetek** (Aus anderer Sicht), der auch bei der Viennale 1982 lief [vgl. LN 1/1983, S. 26 f].

Auch in Jugoslawien, wo die Zensur ohnehin bei weitem nicht so streng wie in den Warschauer-Pakt-Staaten ist, gibt es vereinzelt Reportagen über Homosexualität.

In Polen hingegen konzentriert sich die Thematisierung von Homosexualität auf den Bereich der Kunst. Ausgerechnet seit Einführung des Kriegsrechts ist es polnischen Kulturschaffenden gelungen, diese Thematisierung zu verstärken, was wahrscheinlich auf die Überlastung der Zensurbehörden mit politischen Angelegenheiten zurückzuführen ist. So erschien im Mai 1982 Miazga (Brei), das neueste Buch des wohl berühmtesten zeitgenössischen Schriftstellers Polens: Jerzy Andrzejewskis. Die Wochenzeitschrift Polityka freilich schrieb in ihrer Ausgabe vom 12. Juni 1982 eine sehr negative Buchrezension und bezeichnete Miazga als „beispielloses homosexuelles Manifest in der polnischen Literatur“ und „moralischen Skandal“. Die erste Auflage war jedenfalls binnen kürzester Zeit vergriffen. Miazga war nicht das erste Buch des Regimekritikers Andrzejewski, in dem er sich mit Homosexualität beschäftigte. Bereits in seinen Trzy opowieści  (Drei Erzählungen) und seinem Roman Jetzt kommt über dich das Ende (Suhrkamp 1977) griff er das Thema auf. Das Bühnenstück zu diesem Roman über Kain, der Abel aus Eifersucht tötet, weil dieser sich Gott zugewendet hat, wurde im Jänner 1982 in Opole (Niederschlesien) uraufgeführt.

Andere Bücher mit schwule Thematik, die in jüngster Zeit herausgekommen sind: Z dwóch stron drzwi (Von beiden Türseiten) des Oppositionellen Marian Brandys, Poezje (Gedichte) von Bogusław Kierc, Trans-Atlantyk von Witold Grombrowicz, Książę Nocy (Prinz der Nacht) von Marek Nowakowski und Stan płynny (Flüssiger Zustand) von Grzegorz Musiał.

Im Jänner 1982 wagte das Warschauer Theater Prezentacja Jean Genets Stück Unter Aufsicht, die Geschichte vierer Häftlinge, von denen einer schwul ist, aufzuführen. Die katholische Zeitschrift Kierunki druckte im September 1982 Jerzy Zawieyskis Tagebuch ab. Ein wesentlicher Teil besteht aus Liebesbriefen an seinen langjährigen Freund. Zawieyski war Publizist katholischer Richtung, Abgeordneter zum Sejm und in den 1960er Jahren sogar Vizepräsident des Staatsrates. Er starb 1969. Sein Lebensgefährte wurde später im Ehrengrab Zawieyskis bestattet.

Weniger erfolgreich im Kampf gegen die Zensur war das Warschauer Teatr Wielki, die Oper, die im November 1981 das Ballett Phantasien über das Leben und zur Musik Tschaikowskis in der Choreographie des Düsseldorfers Erich Walter inszenierte. Dabei wurde auch Tschaikowskis Verhältnis zu seinem Kammerdiener nicht ausgespart. Nach drei Aufführungen intervenierte der sowjetische Botschafter höchstpersönlich und forderte die Absetzung des „Spektakels“, das diesen berühmten russischen Komponisten derart diffamiere. Was auch geschah.

 

Nachträgliche Anmerkungen:

* Über diese Fälle Trifonow, Paradschanow und Petkus berichtete ich u. a. in den LN 3/1982, S. 27 f.

** Dieser Film von Károly Makk (1925–2017) trägt auch den ungarischen Titel Egymásra nézve; deutscher Titel: Der andere Blick. Der Film basiert auf der Erzählung Törvényen belül von Erzsébet Galgóczi (1930–1989), in deutscher Übersetzung unter dem Titel Eine andere Liebe (1986) erschienen. Die LN brachten in der Ausgabe 2–3/1983 ein von ANDRZEJ SELEROWICZ in Warschau geführtes Interview mit Jadwiga Jankowska-Cieślak, die eine der beiden Hauptrollen (Éva) – neben Grażyna Szapołowska (Lívia) – spielte.

 

Die Quartalszeitschrift gegenstimmen wurden vom Sozialistischen Osteuropakomitee in Wien herausgegeben. Der Redaktion gehörten u. a. Imma Palme, Bruno Aigner und Georg Hoffmann-Ostenhof an.

 

Dieser Beitrag wurde in folgenden Publikationen nachgedruckt:

die tageszeitung (taz), Berlin, Nr. 946 vom 14. 1. 1983

Hey, Zürich, Nr. 4/1983

Das Rundgespräch, Hamburg, 5/1983

Gay Journal, Heidelberg, Nr. 8/1983

Tribuna, Laibach, Nr. 22/23 (1983)

Viks, Laibach, Nr. 2/1984 (gekürzt)