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Neujahrskonzert 1982

Veröffentlicht am 11. Januar 1982
Am 1. Jänner 1982 stürmten FLORIAN SOMMER und ROBERT HERZ nackt auf die Bühne des Musikvereinssaals, auf der Lorin Maazel das Neujahrskonzert dirigierte, und entrollten ein „Transparent“, auf dem „Menschenrechte für Schwule“ zu lesen war. Die 150 Millionen FernsehzuschauerInnen in aller Welt bekamen die Flitzer-Aktion nicht zu sehen, da der ORF ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt – wie geplant – eine aufgezeichnete Balletteinlage sendete. Die beiden Aktionisten wurden in den LN 1/1982 interviewt.

FLORIAN SOMMER und ROBERT HERZ nackt auf der Bühne des Neujahrskonzerts 1982. Fotostrecke am Ende des Interviews (diese Fotos wurden damals nicht in den LN veröffentlicht).

In ihrer Presseaussendung hat die HOSI Wien den Transparent-Text falsch zitiert – ich bin mir nicht mehr sicher, ob das nicht absichtlich war.

LAMBDA-Nachrichten: Wie hat sich die Aktion genau abgespielt?

Florian Sommer: Wir waren die ganze Silvesternacht zusammen, haben auch einige Stunden geschlafen und sind dann mit dem Taxi zum Musikvereinsgebäude gefahren.

Robert Herz: Zuerst haben wir gemeint, wir sitzen in der 2. Reihe, aber das hat sich als Irrtum herausgestellt…

Seid ihr häufige Konzertbesucher?

F: Gott behüte! Ich war noch nie in einem Konzert.

Ihr habt den Ort also nicht gekannt?

R: Nein, nicht gekannt.

F: Aber durch hilfreiche Schwestern war es uns nicht schwer, herauszufinden, wo sich der Saal verbirgt. Wir waren schon recht frustriert, als sich herausstellte, daß wir in der 2. Reihe falsch saßen. Wir dachten, das wird jetzt nichts mehr mit der Aktion und sich dann nach hinten gezogen. Dort hat uns ein Saaldiener erklärt, daß die zweite Reihe die fünfte sei…

Dort habt ihr dann Platz genommen?

F: Ja. Links Italiener, rechts deutsche Touristen, überhaupt waren da viele Ausländer, reiche Leute, Japaner…

R: Wir haben uns dann überlegt, wann wir starten sollten, und da ist uns im Programmheft „Die Emancipirte“ in die Augen gestochen. Das war sehr bald nach der Pause, und wir wollten die Aktion nicht zu spät ansetzen, unseren Nerven zuliebe.

F: Wir haben uns dann vorgenommen, wenn sich das Stück davor…

R: „Die lustigen Weiber von Windsor“

F: …dem Ende nähert, fangen wir an, uns auszuziehen, Schuhe und Socken zuerst – dabei haben uns dann die Kameras gestreift – huuuh! – und überall die Wächter mit den Funkgeräten!

R: Wir waren darauf vorbereitet, uns auszuziehen. Wir trugen keine Unterwäsche. Dann, gegen Ende der „lustigen Weiber“ haben wir alle Knöpfe aufgemacht…

F: Und das Mascherl vom Kragen auf den Hals gestreift…

R: Und die Hose geöffnet…

F: Und das Sakko, und die Protestkarten herausgenommen.

Alles schon am Sitz?

F: Am Sitz. – Und die Trillerpfeife in die Hand genommen. Die Aufregung war schon sehr groß.

R: Schwitzen, zittern…

F: Ich habe Roberts Hemd über dem Herzen hüpfen gesehen und hatte solche Angstausbrüche! Aber die Trillerpfeifen haben mich sofort beruhigt, gleich der erste Pfiff. Dann ging alles sehr schnell und toll … Auf den Gang hinaus, über die Deutschen drüber – da hatte ich noch den Anzug an, auf dem Dirigentenpult schon nicht mehr! Ich weiß nicht mehr, wie ich das schaffte.

R: Also ich bin über zwei Kurgäste – oder was die waren – gefallen, weil ich die Hose nicht gscheit von den Füßen brachte, und stürzte dann in den Gang, mit dem rosa Winkel, und hab mir dann im Liegen – aber das weiß ich nicht mehr so genau – die Hose ganz runtergezogen und bin gleich nachgejettet.

Hat niemand im Publikum versucht, euch aufzuhalten?

R: Niemand, nein. Wir waren so total drauf, und da wußte noch keiner, was das Ganze sollte.

F: Wir hatten höchstens fünf Meter zurückzulegen.

R: Der Polizeikommandant der Inneren Stadt hat zuerst geglaubt, das sei eine geplante Einlage!

F: War’s ja auch!

Und der Dirigent?

F: Ich habe noch bemerkt, wie er eine Pirouette drehte und mir Platz machte, dann habe ich mich umgedreht, und da warst schon du und hast mir den rosa Winkel raufgeschmissen.

R: Die Protestkarten an die Politiker haben wir auch noch ins Publikum und Orchester geworfen. So ein schwindliger Geiger hat mit dem Bogen nach mir gestochert, worauf Florian sagte: „Sie, lassen S’ das bleiben!“ Das hat geholfen.

F: Das spielte sich ab in Sekunden. Ja, und dann standen wir auf dem Podest, nackt, damit alle sehen konnten, daß wir unbewaffnet waren, und entfalteten den rosa Winkel mit der Aufschrift „Menschenrechte für Schwule“. Und alle haben dann geschrieben, es sei ein Transparent gewesen!

R: Was doch die Vereinswindel war! Habt ihr das bemerkt? – Und Kußhändchen habe ich ins Publikum geworfen.

F: Wir haben auch Applaus bekommen, aber dann sind von allen Seiten diese Ordnungskräfte auf uns losgedonnert.

Ist es richtig, daß „Die Emancipierte“ im Konzertsaal nicht gespielt wurde?

So lange wir dort waren, wurde sie nicht gespielt.

Dann seid ihr abgeführt worden?

R: Ja. Ich habe gerufen: „Bitte keine Gewalt!“, und sie waren dann auch sehr vorsichtig. Den Florian hat ein Polizist am Arm genommen.

F: Wir sind dann auf den Gang geführt worden, und dort sind an die 20 Helfer zusammengelaufen, ganz aufgeregt. Alle waren sie furchtbar hysterisch. Dann haben sie uns in ein Kammerl gesperrt. Dort war’s dann schon recht relaxt, die Atmosphäre. Da konnten wir uns noch einmal umarmen.

R: Sie haben nur die Personalien aufgenommen und die Kleidung nachgetragen. Den rosa Winkel haben sie zuerst nicht gefunden. Das war eine Aufregung! Den hatte jemand unters Dirigentenpult geschoben

F: Und überhaupt, in der Summe war das Verhalten der Polizisten wirklich… also keine dummen Witze, eher Respekt und Bewunderung für diese mutige Aktion.

R: Sie waren auch sehr überrascht, wie flink wir waren im Ausziehen.

F: Ja, das hat allen furchtbar imponiert. Wir haben mindestens fünfmal erklären müssen, wie man sich so schnell ausziehen kann. Aber einer war doch eine …* Das war eine Karikatur, wenn man so etwas im Kino sieht, glaubt man es nicht. Er trug eine Opernuniform, war Theaterkommandant oder so etwas, wirkte betrunken… Das war schlimm, so gleich nach der Festnahme. Dieser …* hat überhaupt nur gebrüllt und getobt. „Wer sind Ihre Hintermänner?!“ Den Robert hat er einen Schlag versetzt, glaube ich.

R: Jedenfalls hat er mich ganz schön runtergemacht.

F: Nach fünf Minuten war schon die Funkstreife da und brachte uns zum Deutschmeisterplatz – in getrennten Autos. Ich hatte einen reizenden Begleiter.

R: Dort kamen wir jeder in eine Zelle. Schuhbänder, Flinserl und Zigaretten mußten wir abgeben.

F: Sie waren höflich und sachlich und haben uns halt eingesperrt. Wir waren dann zehn Stunden jeder in einer winzigen Zelle.

R: Aber sechs Meter hoch! Eine Zelle mit Neonlicht, ohne Fenster und Aircondition, Heizkörper an der Decke, dreckiges Linoleum. Die dicken Mauern, die Stahltüren, die vielen Schlösser, kein Zeitgefühl… Wir bekamen nichts zu trinken und nichts zu essen.

Während der ganzen zehn Stunden?

F: Nichts. Um halb 8 Uhr bin ich dann hinausgeführt worden – zum Untersuchungsrichter oder wie man das nennt. Er stellte ein paar Fragen über Ablauf der Aktion und über meine Motive.

Ist die Vernehmung korrekt verlaufen?

F: Ja, wirklich überhaupt nicht entwürdigend.

Wie lange hat sie gedauert?

F: Eine Stunde…

R: Also ich bin aufgewacht, weil ich hatte geschlafen. Wir hatten uns immer mit Klopfzeichen verständigt, daß wir noch da sind. Wir hatten den Spruch von Kardinal König vom Vortag – „Fürchte dich nicht, denn du bist bei mir“ als eine Art Leitmotiv. Und dann habe ich geklopft, und es war niemand mehr da… Da bin ich erschrocken. Aber dann habe ich mir gedacht: aha, das Verhör.

Ist die Strafe unmittelbar nach der Vernehmung ausgesprochen worden?

R: Nein, danach mußten wir wieder in die Zelle.

F: Er hat uns auch sehr sachlich über die Rechtsmittel belehrt, darüber, daß ich eine Arreststrafe bekomme und er mich freilassen muß, wenn ich die Strafe nicht annehme. Da bin ich kurz ausgeflippt, weil ich war zu diesem Zeitpunkt schon ziemlich verwirrt.

War das der einzige Grund, warum du Berufung eingelegt hast?

F: Nein. Ich find’s ja einen Witz, die zehn Tage Arrest für… Die nehme ich auf keinen Fall an. Die Geldstrafe verstehe ich eher noch in ihrem System, gerechtfertigt finde ich sie auch nicht. Berechtigt sind unsere Forderungen!

Wann seid ihr also entlassen worden?

R: Das war viertel nach 12.

Und dann habt ihr gefeiert?

R: Ja, wir wurden im Taxi abgeholt und haben dann gegessen und gefeiert.

Was hat euch eigentlich auf die Idee gebracht, so eine Aktion zu machen?

F: Nun, nach diesen frechen Statements der Politiker, die wir über ein Jahr lang besuchten und darauf aufmerksam gemacht haben, daß die österreichische Republik die Menschenrechte der Schwulen verletzt, und sie auch vom Europarat aufgefordert wurden, das endlich einzustellen, nachdem sie also überhaupt nicht reagierten, und die Medien über Schwule meist erst dann berichten, wenn sie ermordet werden, hielt ich es für wichtig, mal ein Medienereignis anderer Art zu …, weil bei uns die Medien nur dann Notiz nehmen, wenn du ihnen Skandale lieferst, ein Medienereignis, das geeignet ist, unsere Forderung, Menschenrechte für Schwule, zu transportieren. Die Reaktion der Medien war für mich überraschend positiv. Mit soviel Liebeswürdigkeit habe ich überhaupt nicht gerechnet. Also selbst der Saberl, die oide Krot, wenn sich der nichts Wilderes rauswixen kann als so einen Stuß, finde ich es ja wirklich noch schmeichelhaft.

Die Aktion hat ja offensichtlich auch etwas gekostet?

F: Es wurde mit netten Sponsorinnen besprochen, daß sie aufkommen werden… und die sich sehr bemüht haben, die Karten aufzutreiben, was ja sehr schwierig war. Zwei Wochen vorm Neujahrskonzert ist die Idee gekommen, und dann hat’s lange Zeit geheißen, es gibt eh keine mehr. Dann habe ich das schon wieder komplett vergessen gehabt; am Silvestertag um 12 Uhr mittags kam dann ein Anruf: Die Karten sind da. Worauf wir also beschlossen, das jetzt zu tun. Dies erwies sich auch als sehr günstig, weil das ganze Sollen-wir-sollen-wir-nicht wegfiel. Wir mußten sofort Anzüge kaufen gehen, weil die Geschäfte um 15 Uhr zumachten. So waren wir beschäftigt und konnten uns nicht der Angst hingeben, was wird, wenn…

Die Medien sind ja ganz groß eingestiegen, besonders die Kronen-Zeitung. Wie kommt es, daß ihr dort als Vertreter der Homosexuellen Initiative genannt werdet?

F: Da bin ich vielleicht der falsche Interview-Partner.

Es hätte ja sein können, daß ihr euch als Vertreter der HOSI ausgegeben habt.

F: Es liegt mir wirklich nichts daran, mich mit diesem Titel zu schmücken.

Hast du, Florian, nach der Aktion irgendwelche Reaktionen deiner Umwelt bemerkt?

F: Meine Chefin war sehr freundlich, hat mir sofort die besten Tage zum Taxifahren gegeben. Die ist eine begeisterte Kronenzeitungsleserin und hat das sicher mitgekriegt und war freundlich wie immer. Sie hat mir angeboten, erst wieder am Montag zu arbeiten, weil ich doch sicher noch müde sein würde. Und dann haben halt viele Freunde angerufen und ihr tolles Erlebnis berichtet, daß sie die Kronen-Zeitung im Kaffeehaus sitzend aufgeschlagen haben und sich vor Begeisterung und Verwirrung die Haare rauften, weil sie nicht mehr wussten, wie sie dieser Freude Ausdruck geben sollten, daß endlich etwas passiert ist und gleich an diesem schönen Tag.

Gab’s andere Reaktionen, Drohungen? Dein voller Name stand ja in der Zeitung.

Überhaupt nichts. Ich finde, wenn man schon so eine Aktion macht, muß man voll dahinterstehen. Ich kann mich damit voll identifizieren. Und denke auch, daß eine Identifikationsfigur für Schwule, wo immer sie auch untergetaucht sind, einfach etwas Aufputschendes sein muß, wenn so eine Tunte wie ich sich nichts scheißt, die Kleider vom Leib reißt und bei diesen Volltrotteln beim Neujahrskonzert einen rosa Winkel entrollt, mit „Menschenrechte für Schwule“. Dazu finde ich es notwendig, daß da wirklich eine Person dargestellt wird, mit der man sich identifizieren kann.

Robert, du bist deutscher Staatsbürger?

R: Nein, zwar in München geboren, aber Österreicher.

War diese Aktion eigentlich für dich persönlich wichtig, als Homosexueller?

R: Die Frage der Homosexualität… Für mich ist es nicht nur eine Frage der Homosexualität, sondern eine Frage der Unterdrückung der Sexualität, und das, was ich mit Männern leben will, kann ich halt hauptsächlich mit schwulen Männern leben…

Du selbst bist nicht homosexuell?

R: Ich möchte mich da nicht einordnen oder in ein Kastl schieben lassen…

Und wie schaut das bei dir aus, Florian, die persönliche Seite davon?

F: Für mich ist es so, daß ich in der Homosexualität und in ihrer Unterdrückung etwas sehr Politisches sehe, weil gäb’s die Politik nicht, wäre die Homosexualität nicht unterdrückt. An die Öffentlichkeit zu preschen, die Politikergespräche gehörten auch dazu, hat den Sinn, diese miese Partie zu nötigen, die Gesetze zu ändern. Ich find’s halt gut, daß ein einzelnes Würstchen in dieser Gesellschaft erreichen kann, daß Homosexualität zumindest ein Tagesthema wird.

Gibt’s dir persönlich etwas?

F: Na klar, da habe ich das Gefühl, ich habe das gemacht, ich – Florian Sommer.

„Die Presse“ schreibt, daß es für euch die größte Strafe war, daß die 150 Millionen Zuschauer nicht an diesem Ereignis teilnehmen konnten.

F: Ich sehe das nicht so.

Glaubst du, daß sich irgendwas tun wird durch diese Aktion?

F: Ich denke, die Reaktion in der Presse war positiv. Ich stelle mir vor, daß das Volk gar nicht so reaktionär sein kann, wie man es uns immer einreden will. Meiner Meinung nach könnte sich etwas tun, wenn man mehrere Aktionen machen würde, die nicht so spektakulär sein müßten. Die HOSI sollte laufend in der Öffentlichkeit präsent sein. Ich könnte mir vorstellen, daß die Paragraphen dann auch in Österreich abzuschaffen sein müßten wie im übrigen Westeuropa.

Die letzten Meldungen in der Presse zeigen ja wieder, daß ein großes Informationsdefizit über die rechtliche Situation der Homosexuellen besteht, daß sie nicht zur Kenntnis genommen hat, daß die Schwulen sehr wohl unterdrückt und diskriminiert sind.

 

* Fußnote: War am Tonband undeutlich.

 

Nachträgliche Anmerkungen:

In dem Beitrag findet sich kein Hinweis auf die Interviewer. Ich erinnere mich nicht, wer außer mir für die LN die Fragen stellte. Zweckdienliche Hinweise bitte an mich! Über die weiteren Entwicklungen in der Sache berichtete ich dann in den LN 2/1982, S. 15. Siehe zudem den Beitrag über diese Flitzeraktion in der Abteilung „Aktionismus“ auf diesem Website.

Bei „Saberl“ handelt es sich um eine (offenbar absichtliche) Verballhornung („sabbern“) von „Staberl“, dem langjährigen berüchtigten Kolumnisten der Kronen-Zeitung Richard Nimmerrichter (1920–2022).