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Bundespräsidentenwahl 2016: FPÖ will uns für dumm verkaufen

Veröffentlicht am 25. November 2016
Im Zusammenhang mit der Bundespräsidentenwahl verarschte die FPÖ das gesamte Land auf unerträgliche Weise. Auch der HOSI Wien platzte der Kragen endgültig. In meinem Beitrag in den LN 5/2016 berichtete ich ausführlich über die Kritik der HOSI Wien, die bei der Korruptionsstaatsanwaltschaft in dieser Sache auch Anzeigen einbrachte. Zur Vorgeschichte siehe auch Beitrag in den LN 4/2016.

Verfassungsrichter Johannes Schnizer sprach aus, was viele längst vermutet hatten.

Als Verfassungsrichter Johannes Schnizer im Falter (Nr. 39 vom 27. 9. 2016) aussprach, was den meisten denkenden Menschen ohnehin von Anfang an klar war, nämlich dass die FPÖ die Anfechtung der Stichwahl von langer Hand geplant und vorbereitet hatte (vgl. auch Que(e)rschuss auf S. 7), war das Gegacker im österreichischen Hühnerstall wieder ohrenbetäubend. Die FPÖ schlüpfte sofort wieder in ihre Lieblingsrolle der verfolgten Unschuld und pudelte sich lautstark auf, man unterstelle ihr damit strafrechtlich relevantes Verhalten, quasi organisierte Kriminalität. Der HOSI Wien platzte der Kragen, auch angesichts der lächerlichen, von allen Seiten an Schnizer geübten Kritik, und rief die FPÖ in einer Medienaussendung am 6. Oktober auf, sie möge endlich damit aufhören, „die ÖsterreicherInnen für dumm zu verkaufen“.

Die FPÖ nerve nur mehr mit ihrer künstlichen Entrüstung zu den mehr als naheliegenden Vermutungen von Verfassungsrichter Johannes Schnizer. Man komme sich ja vor wie in Hans Christian Andersens Märchen, in dem sich alle blenden lassen, bis endlich jemand das Augenscheinliche ausspricht: „Der Kaiser ist ja nackt!“. „Jeder, der eins und eins zusammenzählen kann, muss doch zu genau denselben Schlussfolgerungen kommen“, hieß es in der Aussendung: „Es ist wohl davon auszugehen, dass dieselben Unregelmäßigkeiten, die nach der Stichwahl am 22. Mai beanstandet wurden, auch beim ersten Wahlgang am 24. April vorgekommen sind. Dass die FPÖ nach dem Sieg Norbert Hofers im April keine Veranlassung sah, die Wahl anzufechten, ist nachvollziehbar. Aber warum hat sie die später inkriminierten Praktiken nicht vor der Stichwahl angeprangert? Es ist offensichtlich, dass die FPÖ die Parole und Order ausgeben hat, vorsorglich Munition und Material für eine Anfechtung zu sammeln – für den Fall, dass die Stichwahl knapp ausgehen würde.“

„Niemand ist jedoch dabei auf die Idee gekommen, dass das strafrechtlich relevante Handlungen sein könnten“, stellte HOSI-Wien-Obfrau LUI FIDELSBERGER fest. „Aber wenn Ex-Justizminister Dieter Böhmdorfer diese Ansicht vertritt – soll sein. Auch kriminelle Machenschaften der FPÖ würden wohl niemanden besonders überraschen, hat es doch immer kriminelle Elemente in der FPÖ gegeben (jüngster Neuzugang auf der nicht gerade kurzen Liste verurteilter StraftäterInnen aus den FPÖ-Reihen: Harald Dobernig). Die künstliche Empörung der FPÖ über diese Vorwürfe klingt irgendwie nach ‚Haltet den Dieb!‘“

 

Anzeige erstattet

„Wenn Böhmdorfers Rechtsansicht zutrifft, dass hier strafrechtlich relevantes Verhalten vorliegt, dann ist es indes höchste Zeit, dass die Korruptionsstaatsanwaltschaft und andere zuständige Strafverfolgungsbehörden endlich in die Gänge kommen und auch in diese Richtung ermitteln und etwa alle FPÖ-WahlbeisitzerInnen, die vor dem VfGH als ZeugInnen ausgesagt haben, unter Wahrheitspflicht auch zu diesen Vorgängen und Aspekten vernehmen“, ergänzte Fidelsberger und kündigte an: „Die HOSI Wien wird jedenfalls eine entsprechende Anzeige bzw. Anregung an die zuständigen Staatsanwaltschaften richten, um eine eventuell vorhandene einseitige Beißhemmung zu lösen.“

Dies taten wir dann am 12. Oktober. In zwei Schreiben an die Zentrale Staatsanwaltschaft zur Verfolgung von Wirtschaftsstrafsachen und Korruption sowie an die Staatsanwaltschaft Wien erstatteten wir Anzeige gegen unbekannt. Darin hieß es: „Da wir keinen Grund haben, Böhmdorfers Rechtsansicht in Zweifel zu ziehen“ (was natürlich gelogen ist, aber sei’s drum – vgl. Que(e)rschuss auf S. 7), „erlauben wir uns, auf diesem Weg bei Ihrer Staatsanwaltschaft Anzeige gegen unbekannt wegen dieser von Böhmdorfer inkriminierten Straftaten einzubringen und Sie aufzufordern, die nötigen Ermittlungsschritte in die Wege zu leiten.“ Wir betonten auch, dass wir „erwarten, von Ihrer Behörde über die weiteren Schritte und Erkenntnisse in dieser Sache sowie über die Ergebnisse Ihrer Ermittlungen auf dem laufenden gehalten zu werden, wofür wir Ihnen im voraus danken.“

Am 8. November teilte uns die Staatsanwaltschaft Wien lapidar mit, dass sie von einer Einleitung eines Ermittlungsverfahrens absieht, „zumal kein Anfangsverdacht (§ 1 Abs. 3 StPO) besteht.“ Auf telefonische Nachfrage erklärte die zuständige Staatsanwältin, dass sich der mangelnde Anfangsverdacht nicht darauf beziehe, dass keine Vorbereitungshandlungen für eine allfällige Anfechtung gesetzt worden wären, wie sie Verfassungsrichter Schnizer und viele andere vermuten, sondern dass solche Handlungen entgegen der Rechtsansicht von Ex-Minister Böhmdorfer eben keine Straftatbestände darstellen würden. Die zitierte Bestimmung der Strafprozessordnung lautet: „Ein Anfangsverdacht liegt vor, wenn auf Grund bestimmter Anhaltspunkte angenommen werden kann, dass eine Straftat begangen worden ist.“

 

Wie der Schelm denkt, so ist er

Die unter Wahlbetrug fallenden Straftatbestände sind ja relativ genau definiert. Eine etwaige Anfechtung von langer Hand vorzubereiten und sich zu diesem Zweck im vorhinein zu verabreden, um Unregelmäßigkeiten zu notieren und zu melden, fällt eben nicht darunter. Niemand hat ja behauptet, FPÖ-ParteigängerInnen hätten bewusst selber Unregelmäßigkeiten gesetzt oder gar Wahlmanipulationen vorgenommen, um diese danach „anzuprangern“. – Wobei: Jetzt im nachhinein fällt einem dazu natürlich das Sprichwort ein: „Wie der Schelm denkt, so ist er.“ Vielleicht liegt darin auch ein Grund für Böhmdorfers „künstliche“ Empörung? In Wahrheit muss man der FPÖ auch das zutrauen – dass sie diese Unregelmäßigkeiten selber vorsätzlich gesetzt hat. Aber in diesem Fall ist es natürlich schwierig, einen für die Strafbarkeit solcher Handlungen erforderlichen Vorsatz nachzuweisen.

Die Korruptionsstaatsanwaltschaft hat, wie ein Telefonat mit dem zuständigen Referat ergeben hat, zu schreibender Stunde (15. 11.) noch nicht entschieden, ob sie unsere Anzeige in das ohnehin anhängige und laufende „große“ Verfahren zu dieser Causa eingliedern wird oder aufgrund der Entscheidung der Staatsanwaltschaft Wien nicht weiter verfolgen wird. In letzterem Fall werden wir halt dann eine neue Anzeige einbringen.

 

Österreichs Medien – ein Trauerspiel

Ein besonders trauriges Bild in dieser Causa geben – mit ganz wenigen Ausnahmen wie dem Falter – einmal mehr Österreichs (bürgerliche) Medien ab. Statt investigative JournalistInnen auf die FPÖ-BeisitzerInnen anzusetzen und die Vorgänge seriös zu recherchieren, haben sie geschmäcklerische, aber vollkommen irrelevante Ersatzdebatten etwa darüber geführt, ob Schnizer wie in Andersens Märchen denn aussprechen darf, was eh alle sehen (no na, selbstverständlich darf er!). Oder sie haben der VfGH-internen Geheimniskrämerei die Mauer gemacht – um Gottes willen: „Abweichende Meinungen“ seien der österreichischen Öffentlichkeit keinesfalls zuzumuten!

„Statt über die FPÖ, die sich einmal mehr wehleidig in der Rolle der verfolgten Unschuld gefällt, den verdienten Spott und Hohn auszugießen und Schnizer dafür zu feiern, dass da endlich einmal jemand der FPÖ deutlich signalisiert hat, dass sich nicht jeder von ihr für blöd verkaufen lässt, machen sie sich zum Werkzeug der FPÖ-Demagogie und -Volksverdummung und lassen sich von der FPÖ auf der Nase herumtanzen“, zeigte sich die HOSI Wien in ihrer Aussendung auch entsetzt über diesen weiteren Tiefpunkt im österreichischen Journalismus: „Das ist alles schon ziemlich unterirdisch!“

 

Schnizer lässt FPÖ anrennen

Die nachfolgenden Versuche der FPÖ, Johannes Schnizer in die Knie zu zwingen, scheiterten kläglich. Er weigerte sich, die von der FPÖ geforderte Unterlassungserklärung zu unterzeichnen. Er habe – wie aus seinen Stellungnahmen auch hervorgegangen sei – gegenüber dem Falter und in der ZiB 2 seine persönliche Meinung zum Ausdruck gebracht, teilte sein Anwalt lapidar mit. Schnizer habe weder der FPÖ, dem Präsidentschaftskandidaten Norbert Hofer noch Parteichef Heinz-Christian Strache rechtswidriges Handeln unterstellt. Schnizer betrachte die Angelegenheit damit als erledigt. Auf gut deutsch lautet die Botschaft an die FPÖ also: „Leckt mich Arsch!“ Der kann man sich nur vollinhaltlich anschließen.

Der FPÖ-Anwalt Michael Rami meinte daraufhin: „Uns bleibt kein anderer Weg, wir werden klagen.“ Er sieht in den medialen Aussagen des Höchstrichters den strafrechtlichen Tatbestand der üblen Nachrede erfüllt, außerdem will er zivilrechtlich wegen Ehrenbeleidigung und Kreditschädigung klagen. Man darf gespannt sein, ob sie das wirklich machen werden. Aber wenn, dann ist das wohl wieder nur eine Inszenierung für den hyperventilierenden Boulevard und das eigene Publikum, um das Gesicht zu wahren. Und in ein paar Jahren, bis ein solches Verfahren durch alle Instanzen ist, interessiert der für die FPÖ negative Ausgang dann eh kein Schwein mehr. Die ganze Klagsdrohung ist daher bloß ein weiterer Schlag ins Wasser von ein paar Rumpelstilzchen, die in Wirklichkeit keiner mehr ernst nehmen sollte. Ständig auf ihre Provokationen einzugehen macht diese Leute nur populär – wie sich einmal mehr bei Trump gezeigt hat. Schnizer hingegen verdient jedenfalls unsere allergrößte Hochachtung.

Die HOSI Wien wird übrigens – allerdings nach Redaktionsschluss für diese LN-Ausgabe – noch einmal einen Wahlaufruf für Alexander van der Bellen veröffentlichen.

 

Nachträgliche Anmerkungen:

Schnizer wurde dann tatsächlich von der FPÖ, dem damaligen Bundesparteiobmann Heinz-Christian Strache und Norbert Hofer geklagt. Das Verfahren endete dann im November 2017 mit einem Vergleich. Schnizer weigerte sich, seine Aussagen zu widerrufen, gab aber eine Wischi-Waschi-Erklärung ab, damit die FPÖ ihr Gesicht wahren konnte.

Auch mit ihren Schadenersatzklage gegen die Republik Republik Österreich in der Höhe von 3,4 Millionen Euro wegen der zusätzlichen Wahlkampfkosten aufgrund ihrer Anfechtung der Stichwahl scheiterte die FPÖ bekanntlich in allen Instanzen. Nachdem bereits das Landesgericht für Zivilrechtssachen im Mai 2019 gegen die FPÖ entschieden hat, wurde ihre Berufung im September 2019 auch vom Oberlandesgericht Wien abgewiesen. Das zweitinstanzliche Urteil wurde nicht rechtskräftig, da eine Revision an den Obersten Gerichtshof zugelassen wurde. Dieser gab der Revision jedoch nicht Folge und bestätigte am 1. April 2020 die erstinstanzlichen Entscheidungen.