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Kommentar in der Online-Zeitschrift Glocalist Review Nr. 125

Und Tschüssel!

Veröffentlicht am 3. Oktober 2006
Die Nationalratswahl am 1. Oktober 2006 endete zwar wieder mit einer rechten Mehrheit, aber es kam zu keiner Neuauflage von Schwarz-Blau-Orange. SPÖ und ÖVP bildeten wieder eine große Koalition, Wolfgang Schüssel war Geschichte. Für die Ausgabe Nr. 125 der Online-Zeitschrift Glocalist Review kommentiere ich das Ergebnis aus schwul/lesbischer Sicht.

Angesichts des noch etwas unsicheren endgültigen Wahlresultats ist es natürlich schwierig, schon einen definitiven Kommentar dazu abzugeben. Geht man – realistischerweise – jedoch davon aus, daß das BZÖ auch nach Auszählung der Wahlkartenstimmen im Nationalrat vertreten sein und sich eine rot-grüne Mehrheit nicht ausgehen wird, dann kann man wohl folgende Feststellungen treffen:

Österreich bleibt im Grunde rechts-konservativ. Seit 1983 verfügen ÖVP und FPÖ samt später BZÖ über eine Mehrheit im Nationalrat. Seit 1986 ist die ÖVP an der Regierung beteiligt. Daran wird sich also wohl nichts ändern, auch wenn der rechte Block nach derzeitigem Stand weitere zwei Mandate an die fortschrittlichen Parteien verloren hat. Zum Vergleich: 1999 stand es noch 104:79, 2002 dann 97:86 und derzeit eben 95:88. Ginge es in diesem Tempo weiter, wären noch zwei Wahlen zu schlagen, bis sich eine rot-grüne Mehrheit ergibt.

So sehr man sich über die ÖVP-Niederlage freuen darf, so enttäuschend und bedauerlich ist es natürlich, daß sich an den politischen Verhältnissen eigentlich wieder nichts grundlegend geändert hat und die ÖVP weiterhin eine wichtige, ja entscheidende Rolle spielen kann. Jetzt steht Österreich wieder genau dort, wo das Land auch 1999 schon gestanden ist.

 

Den falschen Knopf der Zeitmaschine gedrückt

Einen Treppenwitz der Geschichte stellt das – vorläufige – Wahlergebnis ja insofern dar, als all jene Protest- und NichtwählerInnen, die FPÖ, BZÖ, Hans-Peter Martin, KPÖ oder gar nicht gewählt haben, weil sie gegen die Großparteien im allgemeinen und eine große Koalition im besonderen sind, jetzt höchstwahrscheinlich wieder genau eine solche große Koalition bekommen werden. Sie müssen sich wahrlich die Augen reiben, wenn sie sehen, daß sie sich damit wieder in die Ära 1986–1999 zurückkatapultiert haben. Klarer Fall von saudumm gelaufen, weil taktisch total falsch gewählt!

Die ÖVP wurde nicht zuletzt aber auch für ihre neoliberale Umverteilungspolitik von unten nach oben abgestraft. Sie wird wohl wieder mehr in die Mitte rücken müssen, will sie wieder stärker werden. Auch Schwedens Konservative haben ihren Wahlsieg vor zwei Wochen ihrer „Versozialdemokratisierung“ zu verdanken gehabt. Die Menschen haben einfach die Nase voll von der zunehmenden „Prekarisierung“ ihres Lebens, von der immer größer werdenden Kluft zwischen Arm und Reich, der immer ungerechteren Verteilung des Wohlstands und Vermögens, vom Ausverkauf ihrer Lebensgrundlagen an internationale Konzerne im Namen der hemmungslosen Liberalisierung um jeden Preis.

Erschütternd und bedenklich dabei ist allerdings, daß viele WählerInnen, die genau gegen diese Entwicklungen stimmen wollten, auf die Parolen der extremen Rechten reingefallen sind und – gegen ihre ureigensten Interessen – FPÖ und BZÖ gewählt haben, wo doch gerade diese Parteien in den letzten sechseinhalb Jahren genau diese Politik mitgetragen haben.

Auf jeden Fall scheint sich die Ära Schüssel ihrem Ende zuzuneigen – und das ist gut so! Sie wird sicher nicht als herausragende Ära in die österreichische Geschichte eingehen – und wenn, dann höchstens als überwiegend negative. Unterm Strich waren es sechseinhalb verlorene Jahre für Österreich. Das schwarz-blaue Experiment ist ebenso grandios gescheitert wie die vielbeschworene Zähmung der extremen Rechten. Diese hat sich bei satten 15 Prozent eingependelt. In der Retrospektive und im historischen Abstand wird sich dann hoffentlich allgemein die Sichtweise der Widerstandsbewegung gegen Schwarz-Blau durchsetzen: Die Hineinnahme von Rechtsradikalen in die Regierung ist der durch nichts zu rechtfertigende und zu entschuldigende Sündenfall Schüssels gewesen.

 

Utopien wagen

Schüssels Niederlage ist Gott sei Dank so dramatisch, daß er hoffentlich auf jegliche dummen Mätzchen bei den Koalitionsverhandlungen verzichten wird. Die Gefahr, daß er Gusenbauer auflaufen läßt, um dann als Retter in der Not eine Regierung mit BZÖ und FPÖ zu bilden oder Neuwahlen vom Zaun zu brechen (sehr riskant!), scheint nicht allzu groß zu sein, wiewohl Schüssel natürlich alles zuzutrauen ist.

Die ÖVP täte auch gut daran, in den Koalitionsverhandlungen von ihrem hohen Roß herunterzusteigen und die Lehren aus ihrer Niederlage zu ziehen. Als Lesben- und Schwulenaktivist erwarte ich z. B. die Zustimmung zur Einführung der eingetragenen Partnerschaft für gleichgeschlechtliche Paare („Homo-Ehe“). Man fragt sich ja ohnehin, wieso die ÖVP durch ihre starre ablehnende Haltung zur Gleichstellung von Lesben und Schwulen diese große Wählergruppe regelmäßig vor den Kopf stößt. Wie man diesmal gesehen hat, fehlen ihr dann genau diese entscheidenden Prozentpunkte auf den Wahlsieg. Geschieht ihr aber recht! Allein schon aus diesem Grund wäre die ÖVP daher gut beraten, ihre Positionen in dieser Frage grundlegend zu ändern.

Die breite Zustimmung zur SPÖ trotz widrigster Umstände und der unglaublichen vereinten Phalanx der bürgerlichen Medien beweist, daß offenbar auch der Verblödung und Manipulation der WählerInnen durch die Medien Grenzen gesetzt sind und immer noch viele sich trotzig weigern, gegen ihre Interessen zu wählen. Rührend-peinlich, wie Gerfried Sperl noch am Tag vor der Wahl im schwarz-grünen Kampfblatt Der Standard daneben gelegen ist; schon fast bemitleidenswert, wie Christian Ortner in der Presse auch am Tag nach der Wahl weiter wahlkämpft und jene verhöhnt, die seiner Ansicht nach so dumm seien zu glauben, sie könnten ihrem Sklavenschicksal in der globalisierten Welt tatsächlich durch Rot-Wählen entrinnen.

Der Wahlsieg der SPÖ birgt indes die Hoffnung auf eine Re-Ideologisierung der Politik. Es steht zu hoffen, daß die SPÖ auch wieder mehr politische Utopie wagt („Eine andere Welt ist möglich!“) und die Entmachtung der Politik durch die Wirtschaft nicht genauso als Naturgewalt hinnimmt wie die negativen Folgen der Globalisierung. Es ist kein Naturgesetz, daß sich die ArbeitnehmerInnen in Europa ausbeuten lassen oder zum neuen Lumpenproletariat werden müssen, um gegen die chinesische und indische Billigkonkurrenz zu bestehen. Das Primat des Kapitals und Profits über die Politik und den Staat, das Gemeinwohl, ist kein Naturgesetz. Auch nicht in der EU. Deren Dogma der totalen Liberalisierung und Privatisierung aller Wirtschaftsbereiche ist eher darauf zurückzuführen, daß in der – nicht demokratisch gewählten und daher auch nicht demokratisch legitimierten – EU-Kommission zu viele Knechte der internationalen Konzerne das Sagen haben. Eine europaweit gestärkte Sozialdemokratie müßte diesen Fehlentwicklungen endlich einen Riegel vorschieben und eine politische Alternative formulieren. Damit würde nicht nur den Rechtsextremen das EU-kritische Wasser abgegraben, sondern letztlich wahrscheinlich die Voraussetzung dafür geschaffen, um das Projekt EU auf längere Sicht überhaupt noch retten zu können.