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„Gedankenjahr 2005“: Lesben und Schwule haben wenig Grund zu feiern

Veröffentlicht am 4. März 2005
2005 feierte das offizielle Österreich im sogenannten „Gedankenjahr“ u. a. 60 Jahre Ende der Nazi-Herrschaft. Die HOSI Wien sah darin die womöglich letzte reelle Chance, die seit über 20 Jahren geforderte Ausweitung des Opferfürsorgegesetzes auf die homosexuellen NS-Opfer durchzusetzen. Ihr war aber klar, dass sie der schwarz-blauen Regierung zu diesem Zweck ordentlich die politischen Daumenschrauben anziehen musste. Gleich zum Auftakt des Gedenkjahres kündigte sie eine härtere Gangart an, wie ich in den LN 2/2005 berichtete.

Am 14. Jänner 2005 fand im Parlament die offizielle Auftaktveranstaltung zum sogenannten „Gedankenjahr 2005“ statt. Auftakt für die HOSI Wien, in Sachen Rehabilitierung und Entschädigung der homosexuellen NS-Opfer eine härtere Gangart einzuschlagen.

Am 14. Jänner 2005 fand im Nationalrat die offizielle Auftaktveranstaltung zum sogenannten „Gedankenjahr 2005“ statt. Gefeiert sollen u. a. 60 Jahre Zweite Republik, 50 Jahre Staatsvertrag und zehn Jahre Mitgliedschaft in der EU werden. Sieht man sich die Jubiläumspläne der Regierung – z. B. die Aktion „25 Peaces“ – an, drängt sich indes der Verdacht auf, man will mit der Fokussierung auf 1945 als Stunde Null die Ursachen dafür absichtlich ausblenden: 1934, den Austrofaschismus, den Anschluss Österreichs, den Angriffskrieg Hitler-Deutschlands, die Konzentrationslager, den Holocaust, die breite Unterstützung der Nazi-Ideologie in der Bevölkerung usw. Da soll offenbar einmal mehr die Aufbaugeneration gefeiert werden („Österreich als Opfer“), bei der es sich in Wahrheit um genau dieselbe „Zerstörungs“-Generation handelt, die eigentlich die Hauptverantwortung dafür trug, dass die Nazis an die Macht kommen konnten, was zu Weltkrieg, Massenmord und Massenvertreibung führte („Österreich war auch Täter“).

Aber wenn man sich mit der Vorgeschichte der Gründung der Zweiten Republik nicht beschäftigt, besteht auch wenig Gefahr, dass sich die Parallelen zwischen damals und 1999 aufdrängen, als die Haider-FPÖ mit hemmungslosem Populismus, Antisemitismus und mit Ausländerfeindlichkeit und Demagogie zweitstärkste Partei wurde und mit der Schüssel-ÖVP, die drittstärkste geworden war und für diesen Fall eigentlich versprochen hatte, in Opposition zu gehen (wohl eine der größten Wählertäuschungen nach 1945!), eine Regierung bildete.

Allein schon wegen dieser Absichten muss man der Regierung dicke Gedanken-Striche durch ihre Gedankenjahrs-Rechnung machen. Aber auch als Lesben und Schwule haben wir allen Grund, dem offiziellen Österreich in die Feier-Suppe zu spucken.

Die HOSI Wien tat dies gleich einmal vor dem erwähnten offiziellen Auftakt mit einer Medienaussendung am 12. Jänner: Homosexuelle Opfer des Nationalsozialismus warten in Österreich immer noch auf ihre Rehabilitierung und einen Rechtsanspruch auf Entschädigung nach dem Opferfürsorgegesetz (OFG), erklärte darin Obfrau BETTINA NEMETH. Wir halten die unkritischen und selbstgefälligen Jubiläumsfeierlichkeiten daher für hochgradig heuchlerisch, solange das offizielle Österreich nicht auch bereit ist, sich von der Ermordung von Homosexuellen in den Konzentrationslagern zu distanzieren und den homosexuellen NS-Verfolgten dieselbe Rehabilitierung zuteil werden zu lassen wie allen anderen Opfergruppen. Wir rufen daher zur Solidarität mit dieser Opfergruppe und zum Protest bei diesen verlogenen Staatsfeierlichkeiten auf.

 

HOSI Wien ruft zu Protest auf

Aus diesem Grund ruft die HOSI Wien alle Menschen – PolitikerInnen, KünstlerInnen, Prominente, Angehörige des diplomatischen Corps usw. –, die mit dieser nicht erfolgten Rehabilitierung nicht einverstanden sind, aber aus beruflichen oder privaten Gründen heuer an Gedenkveranstaltungen teilnehmen, auf, ihre Solidarität dadurch zu bekunden, dass sie sich bei diesen offiziellen Anlässen gut sichtbar einen großen rosa Winkel aus Stoff oder Papier an ihre Kleidung heften. Mit dem rosafarbenen Winkel wurden in den KZ-Lagern die Homosexuellen gekennzeichnet.

Um den Abgeordneten der Opposition ein etwaiges Beherzigen unseres Aufrufs zu erleichtern, haben wir vor der Veranstaltung am 14. Jänner allen Abgeordneten der SPÖ und der Grünen einen entsprechenden Brief mit einem rosa Winkel aus Papier und einer Sicherheitsnadel übermittelt. Ein allfälliger Wunsch, Missfallen mit der Nichtrehabilitierung der homosexuellen NS-Opfer zum Ausdruck zu bringen, sollte nicht an so trivialen Dingen scheitern, wie nicht rechtzeitig einen rosa Winkel zur Hand zu haben. Doch die Resonanz auf unseren Aufruf war gleich null. Auch die Parteivorsitzenden Alfred Gusenbauer und Alexander van der Bellen erwähnten diesen Aspekt nicht bewältigter Vergangenheit mit keinem Wort in ihren Reden bei dieser Veranstaltung. Und so blieb es ausgerechnet Bundeskanzler Wolfgang Schüssel vorbehalten, die „Homosexuellen“ überhaupt als Verfolgte in Zusammenhang mit der geschichtlichen Aufarbeitung und Auseinandersetzung zu erwähnen. Ob ihm jemand auf die Aussendung der HOSI Wien vom 12. Jänner aufmerksam gemacht hat?

 

ÖVP und FPÖ vertreten NS-Gedankengut

Aber keine Angst: Dass Schüssel das Wort „Homosexuelle“ einmal in positiver Hinsicht über die Lippen gekommen ist, ändert nichts an unserer kritischen Haltung, denn dass die homosexuellen NS-Opfer auch 60 Jahre nach Ende des Hitler-Regimes auf Rehabilitierung warten müssen, haben sie einzig und allein der ÖVP und FPÖ zu verdanken, die eine entsprechende Änderung des OFG bis heute genauso ablehnen wie eine offizielle Entschuldigung durch die Republik. Für die ÖVP und FPÖ sind Lesben und Schwule immer noch gewöhnliche Kriminelle, die ihre Inhaftierung und Ermordung im KZ offenbar rechtmäßig verdient haben. Im Widerspruch zu dieser Auffassung hat übrigens die Historikerkommission in ihrem Schlussbericht vom Jänner 2003 kritisiert, dass nach Aufhebung des Verbots der Homosexualität 1971 keine rückwirkende Einbeziehung dieser Gruppe ins OFG erfolgte und „dass auf Grund formalrechtlicher Erwägungen sogar die Anhaltung im Konzentrationslager, die keinesfalls als rechtsstaatliche Maßnahme betrachtet werden kann, im Sinne einer Bestrafung nach österreichischem Recht interpretiert wurde“ (S. 342).

Die HOSI Wien hat den zuständigen Sozialminister vor zwei Jahren mit dieser Kritik der Historikerkommission konfrontiert (vgl. LN 2/2003, S. 8), wartet trotz mehrfacher Urgenz aber bis heute auf eine Stellungnahme. Die Sache ist seither zwischen den Büros Herbert Haupts und seiner Staatssekretärin Ursula Haubner – die ihn mittlerweile als Ministerin abgelöst hat – hin- und hergeschoben worden. Und im Nationalrat wurde der im März 2003 von den Grünen eingebrachte Antrag auf entsprechende Novellierung des OFG zuletzt im Sozialausschuss im Februar 2004 wieder vertagt.

 

HOSI Wien stellt Ultimatum

Am 27. Jänner verlieh die HOSI Wien in einer Medienaussendung aus Anlass des 60. Jahrestags der Befreiung des KZ Auschwitz-Birkenau der Forderung nach Berücksichtigung der homosexuellen NS-Opfer im OFG abermals Nachdruck:

Wir räumen der Bundesregierung eine letzte Frist bis Ende Februar 2005 ein, kündigte Obmann CHRISTIAN HÖGL an. Sollte bis dahin das OFG nicht entsprechend geändert sein werden wir mit unseren Vorbereitungen für internationale Protestaktionen in Zusammenhang mit den Befreiungsfeiern am 8. Mai 2005 in Mauthausen beginnen. Wir werden dafür sorgen, dass sich die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit wieder in einem Maß auf Österreichs nicht bewältigte Vergangenheit richten wird, wie dies seit den Maßnahmen der EU-14 gegen die blau-schwarze Regierung vor fünf Jahren nicht mehr der Fall gewesen ist. Wer auch 60 Jahre nach Niederringung des Nationalsozialismus bestimmte NS-Opfergruppen nicht entschädigen will, muss sich den Vorwurf gefallen lassen, selber ewiggestriges NS-Gedankengut zu vertreten.

Am 27. Jänner hat auch das Europa-Parlament eine Entschließung anlässlich der Befreiung des KZ Auschwitz verabschiedet, in der auch auf die homosexuellen Opfer hingewiesen wurde.

Da besagte Frist nun verstrichen ist, ohne dass Haubner oder andere in der Bundesregierung aktiv geworden sind, wird die HOSI Wien jetzt mit den angekündigten Vorbereitungen für Aktionen beginnen. Unter anderem ist geplant – eventuell gemeinsam mit ILGA-Europa –, Lobbying beim Europäischen Parlament für die Verabschiedung einer neuen Resolution aus Anlass der Befreiung des KZ Mauthausen am 5. Mai zu betreiben, in der Österreich aufgefordert werden soll, das OFG entsprechend zu ändern. Ein weiterer Skandal, der dabei gleich angeprangert werden könnte, ist die Nichteinladung der polnischen Lesben- und Schwulenbewegung zur offiziellen Gedenkfeier in Auschwitz am 27. Jänner 2005. Wie die größte polnische Tageszeitung Gazeta Wyborcza am nächsten Tag berichtete, hatte die Gruppe Kampania Przeciw Homofobii (Kampagne gegen Homophobie) zwei Monate vorher ein offizielles Ansuchen an das Organisationskomitee für die Feier gerichtet, im Rahmen der Gedenkfeiern einen Kranz niederlegen zu dürfen, aber nie eine Antwort darauf bekommen. Hier sind wir in Österreich Gott sei Dank schon weiter. Und dieses Jahr plant die HOSI Wien, mit einer großen Abordnung an der 60-Jahr-Befreiungsfeier in Mauthausen teilzunehmen.

 

Ausstellung in Wien

Dass man im Rahmen des Gedankenjahrs unkonventionelle Aktivitäten setzen kann, die – wie die erwähnten „25 Peaces“-Aktionen – nicht läppisch, sondern dem Anlass durchaus angemessen sind, stellt die Stadt Wien unter Beweis, die eine Ausstellung finanzieren wird, die die Verfolgung der Homosexuellen während der NS-Zeit und in der Zweiten Republik aufarbeiten soll.