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Europäisches Parlament: Österreich zum viertenmal verurteilt

Veröffentlicht am 19. Januar 1999
Im Dezember 1998 wurde Österreich zum vierten Mal innerhalb von zwei Jahren und zum zweiten Mal während seines EU-Ratsvorsitzes vom Europa-Parlament aufgefordert, die menschenrechtswidrige Sonderbestimmung des § 209 StGB aufzuheben. In den LN 1/1999 berichtete ich über diese Peinlichkeit.

Plenarsaal des Europa-Parlaments. Bis zur Inbetriebnahme des neuen Parlamentsgebäudes in Straßburg 1999 tagte das EP im Gebäude des Europarats.

Österreich scheint demnächst ein neuer Eintrag im Guiness-Buch der Rekorde sicher: Zum viertenmal innerhalb von zwei Jahren und zum zweitenmal während seines EU-Ratsvorsitzes wurde Österreich vom Europa-Parlament aufgefordert, die menschenrechtswidrige Sonderbestimmung des § 209 StGB aufzuheben.

Am 17. Dezember 1998 verabschiedete das Europa-Parlament seinen Bericht und seine Entschließung zur Achtung der Menschenrechte in der Europäischen Union für das Jahr 1997 (Dokument A4-0468/98). Berichterstatterin war diesmal die konservative französische Abgeordnete Anne-Marie Schaffner. In ihrem Resolutionsentwurf kamen indes Lesben und Schwule bis auf den eher vage gehaltenen Satz, niemand dürfe u. a. wegen seiner Zugehörigkeit zu einer sexuellen Minderheit „leiden“, nicht vor. Bevor der Entwurf im Ausschuß für Grundfreiheiten und innere Angelegenheiten am 24. November debattiert werden sollte, hat der europäische Lesben- und Schwulenverband ILGA-Europa daher freundlich gesinnte Mitglieder des EP verschiedener Fraktionen kontaktiert und ihnen konkrete Abänderungsvorschläge übermittelt. Die Grünen und die Fraktion der Radikalen Europäischen Allianz (REA) hatten auch von sich aus bereits Abänderungsanträge vorbereitet. Im Ausschuß wurden allerdings nur einige wenige angenommen.

Mit einem von diesen wurden die Mitgliedsstaaten zwar einmal mehr aufgerufen, einheitliche Mindestaltersgrenzen für alle sexuellen Orientierungen festzulegen, aber die Nennung der betroffenen Länder, darunter Österreich, fand keine Mehrheit, wie ÖVP-Abgeordneter Hubert Pirker in seiner Presseaussendung am 24. 11. triumphierte: Eine namentliche Erwähnung und Verurteilung Österreichs konnte aber durch die EVP verhindert werden. Mit Genugtuung nehmen wir zur Kenntnis, daß sich die ÖVP mittlerweile unserer Sprachregelung angeschlossen hat und daß nun auch sie in diesem Zusammenhang von einer „Verurteilung“ spricht. Denn bisher hat sich die ÖVP ja gegen die Darstellung gewehrt, durch die Verabschiedung der Menschenrechtsberichte im EP würden die darin in negativer Weise genannten Staaten „verurteilt“.

Pirker hatte auch wieder einen Rückfall ins Nestbeschmutzergeschrei. Er kritisierte das Verhalten der Abgeordneten Maria Berger (SPÖ) und Johannes Voggenhuber (Grüne) als „skandalös“, weil sie im Ausschuß für die Menschenrechte und gegen das seiner Meinung nach „klaren Interesse“ Österreichs gestimmt hatten.

Der ILGA-Europa waren die im Ausschuß angenommenen Ergänzungen aber noch nicht weitreichend genug, insbesondere im Vergleich zu früherer Beschlußlage, speziell den Menschenrechtsberichten der letzten Jahre. Deshalb schrieb der Autor dieser Zeilen als ILGA-Europa-Vorstandsvorsitzender nochmals an eine Reihe von Mitgliedern des Europa-Parlaments, um die einzelnen Fraktionen zu ersuchen, auch für die Plenardebatte Abänderungsanträge einzubringen, darunter die bereits von ILGA-Europa für den Ausschuß vorbereiteten. Dies geschah dann auch – neben den Grünen und der REA hat auch die Konföderale Fraktion der Vereinigten Europäischen Linken/Nordische Grüne Linke Anträge vorgelegt. Schließlich wurde auch jener ILGA-Europa-Text verabschiedet, in dem die Länder mit unterschiedlichen Mindestaltersgrenzen namentlich angeführt werden, darunter eben auch Österreich. Der Bericht wurde mit eindeutiger Mehrheit angenommen, Österreich somit ein viertes Mal „verurteilt“, davon ein zweites Mal während seines EU-Ratsvorsitzes (über die bisherigen Verurteilungen haben die LN ausführlich berichtet: # 3/1997, S. 10 ff; # 2/1998, S. 13 f; # 4/1998, S. 21 ff). Die HOSI Wien hat jedenfalls am Tag nach der Abstimmung eine Presseaussendung veröffentlicht.

Und hier die lesben- und schwulenrelevanten Textstellen aus der EP-Entschließung zur Achtung der Menschenrechte in der Europäischen Union (1997) vom 17. 12. 1998 im Wortlaut (jedoch in der vorläufigen Fassung des Protokolls):

Das Europäische Parlament,

10. betont, daß kein Staat der Europäischen Union beitreten darf, der nicht die grundlegenden Menschenrechte achtet, und fordert Kommission und Rat auf, bei den Verhandlungen den Rechten der (ethnischen, sprachlichen, religiösen, homosexuellen usw.) Minderheiten eine größere Bedeutung einzuräumen;

51. begrüßt, daß im Vertrag von Amsterdam (Artikel 12 und 13 der konsolidierten Fassung) Bestimmungen enthalten sind, die es ermöglichen, jede Diskriminierung aufgrund des Geschlechts, der Rasse, der Nationalität, der ethnischen Herkunft, des Alters, der Religion oder der Weltanschauung oder der sexuellen Orientierung zu bekämpfen;

52. begrüßt, daß mehrere Mitgliedstaaten neben den Gesetzen über die standesamtliche oder kirchliche Ehe Bestimmungen erlassen haben, durch die die Beziehungen zwischen Personen, die ein rechtliches Band untereinander knüpfen wollen, geregelt werden;

53. fordert die Mitgliedstaaten, die dies noch nicht getan haben, auf, jede Diskriminierung von Homosexuellen zu beseitigen; fordert insbesondere Österreich, Griechenland, Portugal und das Vereinigte Königreich auf, unterschiedliche Altersgrenzen für die Einwilligung in sexuelle Beziehungen für Homosexuelle und Heterosexuelle zu beseitigen;

 54. fordert erneut, daß jede Ungleichbehandlung von Homosexuellen und Lesbierinnen beseitigt wird, insbesondere was das gesetzlich festgelegte Mindestalter für homosexuelle Beziehungen, die bürgerlichen Rechte, das Recht auf Arbeit, die sozialen und wirtschaftlichen Rechte usw. anlangt;

73. weist darauf hin, daß keine Person wegen ihrer Zugehörigkeit zu einer nationalen, sprachlichen, religiösen oder ethnischen Minderheit, aufgrund ihres Geschlechts, ihrer politischen, religiösen oder weltanschaulichen Überzeugungen oder ihrer sexuellen Ausrichtung das Opfer von Benachteiligung oder Diskriminierung sein darf, wobei diese Überzeugungen bzw. Ausrichtungen natürlich keine Verstöße gegen die Menschenrechte, insbesondere gegen die Rechte der Frau und die Rechte der Kinder, nach sich ziehen oder fördern dürfen;

82. wünscht, daß der spezifischen Situation bestimmter Gruppen von besonders gefährdeten Häftlingen – Minderjährigen, Frauen, Einwanderern, ethnischen Minderheiten, Homosexuellen, Kranken – besonders Rechnung getragen wird; fordert die Mitgliedstaaten auf, die erforderlichen Vorkehrungen zu treffen, damit den Gefangenen eine individuelle Behandlung unter Berücksichtigung ihrer jeweiligen Umstände zuteil wird.