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Katholische Kirche bereitet schwul/lesbisches Rostock vor

Erschienen am 13. Oktober 1992

Die katholische Kirche kann ihre Hetze gegen alle Anders- und Nichtgläubigen und gegen alle, die nicht nach ihren Glaubensdoktrinen leben, nicht lassen. Einen neuen Höhepunkt in dieser Hetze, die man eigentlich strafrechtlich verfolgen müßte, stellt ein „Schreiben“ der vatikanischen Glaubenskongregation (Sacra Congregazione per la Dottrina della Fede) dar, das am 24. Juli 1992 veröffentlicht wurde und in dem diese Nachfahrin der Inquisition „Einige Anmerkungen bezüglich der Gesetzesvorschläge zur Nicht-Diskriminierung homosexueller Personen“ anstellt. Dieses Schreiben ist speziell an die Adresse der US-Bischöfe gerichtet, die offenbar in Roms Augen zuwenig deutlich gegen weltliche Antidiskriminierungsbestimmungen auftreten.

Der Teufel tritt diesmal in der Gestalt von laxen Stadtverwaltungen und nationalen Parlamenten auf, die gleichgeschlechtlichen Paaren dieselben Rechte zugestehen wollen wie heterosexuellen. Wenn (…) homosexuelles Tun folglich als gut akzeptiert wird, oder wenn eine staatliche Gesetzgebung eingeführt wird, welche ein Verhalten schützt, für das niemand ein irgendwie geartetes Recht in Anspruch nehmen kann, dann sollten weder die Kirche noch die Gesellschaft als ganze überrascht sein, wenn andere verkehrte Vorstellungen und Praktiken an Boden gewinnen sowie irrationale und gewaltsame Verhaltensweisen zunehmen, heißt es da. Was hier gemeint ist, ist unklar: daß das Böse dann überhand nähme, oder daß man sich bei zuviel Permissivität nicht über irrationale Reaktionen des gesunden Volksempfindens zu verwundern brauche?

Wahrscheinlicher scheint mir erste Interpretation. Aber auch ohne eine solche subtile Einladung ans gesunde Volksempfinden, sich doch zu entladen, bereitet die Kirche mit dieser anti-homosexuellen Hetze den Boden auf für ein schwul/lesbisches Rostock. So heißt es weiter im besagten Schreiben der Glaubenskongregation:

  1. Die „sexuelle Orientierung“ stellt keine Eigenschaft dar, die im Bezug auf die Nichtdiskriminierung mit Merkmalen wie Rasse, ethnischer Herkunft usw. vergleichbar wäre. Im Unterschied zu diesen ist die homosexuelle Orientierung eine objektive Unordnung und gibt in moralischer Hinsicht Anlaß zur Sorge.
  2. Es gibt Bereiche, in denen es keine ungerechte Diskriminierung ist, die sexuelle Veranlagung in Betracht zu ziehen, wie z. B. bei der Zuweisung von Kindern zur Adoption oder bei der Auswahl von Pflegeeltern, der Einstellung von Sportlehrern oder im Militärdienst.

Und weiter, ziemlich abstrus: Wenn die „homosexuelle Veranlagung“ zu den Begründungen gezählt wird, aufgrund deren jede Diskriminierung illegal ist, so kann leicht die Meinung entstehen, Homosexualität sei positiv ein Grund, Menschenrechte geltend zu machen (…). Der Übergang zur Anerkennung der Homosexualität als einen Faktor, aufgrund dessen Diskriminierung illegal ist, kann leicht, wenn nicht gar automatisch, zum gesetzlichen Schutz oder zur Förderung der Homosexualität führen. Die Homosexualität einer Person würde als Argument gegen eine behauptete Diskriminierung angeführt werden, und das Eintreten für die Ausübung von Rechten würde so nicht mit einer Verletzung der grundlegenden Menschenrechte begründet werden, sondern mit der Bekräftigung einer homosexuellen Veranlagung.

Und weiter ein Plädoyer für das Verstecken der Homosexualität: Die „sexuelle Orientierung“ einer Person ist (…) anderen normalerweise nicht bekannt – solange sich die Betroffenen nicht öffentlich dazu bekennen oder es durch ihre Verhaltensweisen offen zeigen. Normalerweise tun homosexuell veranlagte Personen, die den Willen haben, ein keusches Leben zu führen, anderen ihre Veranlagung nicht kund, weshalb sich auch das Problem der Diskriminierung bei der Arbeits- oder Wohnungssuche meist erst gar nicht stellt. (…)

Ferner besteht die Gefahr, daß eine Gesetzgebung, die aus der Homosexualität eine Grundlage für das Einfordern von Rechten macht, einen Menschen mit homosexueller Veranlagung dazu verleiten könnte, seine Homosexualität kundzutun oder sogar einen Partner zu suchen, um die gesetzlichen Verfügungen auszunutzen.

Das Schreiben ruft in der Folge die Bischöfe auf, genauestens auf jedes neue Gesetzesvorhaben in diesem Bereich zu achten: Wie würden Adoption und die Auswahl von Pflegeeltern beeinflußt? Würden – öffentliche oder private – homosexuelle Akte geschützt? Erhielten homosexuelle Verbindungen Familienstatus? Wären sie der Familie etwa bei der Wohnungsvergabe gleichgestellt – oder erhielte der homosexuelle Partner Ehegattenprivilegien, etwa die Krankenversicherung durch den Arbeitgeber des Partners? Die Bischöfe werden aufgefordert, gegen derartige Gesetzesvorhaben auch dann vorzugehen, wenn für kirchliche Einrichtungen und Vereinigungen Ausnahmeregelungen getroffen würden. Die Kirche hat die Verantwortung, das Familienleben und die öffentliche Moral der gesamten Zivilgesellschaft auf der Grundlage fundamentaler moralischer Werte zu fördern, und nicht nur, sich selbst vor den Folgen verderblicher Gesetze zu schützen. Das ist wohl das Verständnis, das die Kirche von der Trennung von Staat und Kirche hat.

Dieses Schreiben ist nicht mehr und nicht weniger als eine Kriegserklärung an alle Lesben und Schwulen, die nicht versteckt leben wollen (wie jene Hälfte des katholischen Klerus, die schwul ist), sondern ihre Menschenrechte einfordern. Es ist höchste Zeit, daß wir uns wehren und die Kirche in ihren Bereich zurückdrängen – sie sollte in einem weltlichen Staatswesen nichts zu melden haben. Wenn Kardinal König jüngst ÖVP und SPÖ gedroht hat, sie sollen die Kirche nicht zu sehr provozieren mit Kondomabgabe in den Schulen, Abtreibungspille, Sonntagsarbeit etc., dann sollten wir der Kirche drohen, sich nicht in unser Leben einzumischen, für unsere Moral können wir schon selber sorgen, dazu brauchen wir die Kirche nicht.

Die katholische Amtskirche hat zweitausend Jahre gegen alle möglichen Gruppen gehetzt. Auch gegen Lesben und Schwule. Sie hat zweitausend Jahre lang den ideologischen Nährboden für Mord und Totschlag aufbereitet, die sie oft genug in der Geschichte auch gleich selber ausgeführt hat. Die katholische Kirche hat den Boden aufbereitet für die Hexenverfolgung und die Inquisition, für den Massenmord an den UreinwohnerInnen Amerikas, für Judenpogrome und Judenverfolgung usw. usf. Die katholische Kirche ist die größte Verbrecherorganisation in der Menschheitsgeschichte, deren breite Blutspur sich durch mehr als eineinhalb Jahrtausende zieht. Jetzt ist sie dabei, den ideologisch-moralischen Nährboden für ein Rostock der Schwulen und Lesben aufzubereiten. Wenn demnächst Lesben und Schwule vom neofaschistischen Skinhead-Mob überfallen werden, wissen wir, wem wir das zu verdanken haben! Es ist höchste Zeit zu handeln: Stoppt diese Kirche, sie ist des Teufels!

PS: Wie aus gut informierten Kreisen verlautet, soll es tatsächlich noch Lesben und Schwule geben, die dieser Kirche immer noch Kirchensteuer zahlen. Ist es nicht höchste Zeit, umzudenken und auszutreten?!

 

Kurts Kommentar LN 4/1992

Nachträgliche Anmerkungen

Im August 1992 kam es in Rostock-Lichtenhagen zu gewalttätigen Ausschreitung gegen ein Asylwerberheim. Damals war/wurde „Rostock“ zum Synonym für ausländerfeindliche Gewalt durch einen aufgehetzten Mob.

Die wörtlichen Zitate aus dem Schreiben der Glaubenskongregation in meinem ursprünglichen Text habe ich hier durch jene Version ersetzt, die ich auf der Website des Heiligen Stuhls gefunden habe.

Dieses Schreiben des Vatikans aus 1992 stellt nicht nur ein bizarres geistig-inhaltliches Elaborat dar – es ist auch ein anschauliches zeithistorisches Dokument dafür, wie in den letzten 25 Jahren Geschichte und Zeitgeist über die katholische Kirche einfach hinweggefegt sind, ohne dass diese dem irgendetwas entgegensetzen konnte – zumindest in den klassisch als „westlich“ bezeichneten Teilen der Welt. Liest man dieses Schreiben heute im zeitlichen Abstand dieser 25 Jahre, erkennt man, dass es eigentlich Ausdruck schierer Verzweiflung und Hilflosigkeit war. Die schlimmsten Befürchtungen der Glaubenskongregation sind heute in vielen Ländern Realität geworden bzw. von der Wirklichkeit noch übertroffen worden. Dies sollte uns klar vor Augen führen, dass auch eine „Weltreligion“ nicht unbezwingbar ist, und uns Mut machen und darin bestärken, dass wir auch vor anderen „Weltreligionen“ nicht kapitulieren müssen!

Stoppt diese Kirche, sie ist des Teufels!

Da FRIEDL NUSSBAUMER – im Gegensatz zu mir – diesen Aus- und Aufruf bis heute nicht vergessen hat, habe ich ihn ihm zu Ehren in Fettschrift gestellt!

Ich wäre froh gewesen, hätte die ÖVP damals halb so viel Engagement im Kampf gegen den politischen Katholizismus an den Tag gelegt, wie sie heute im Kampf gegen den politischen Islam an den Tag legt.