Seite wählen

Chronik Artikel 13 EGV

In Österreich basiert der einzige bestehende gesetzliche Schutz vor Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung auf der EU-Richtlinie 2000/78/EG. Diese wiederum beruht ursprünglich auf Artikel 13 EG-Vertrag, der im konsolidierten Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (Vertrag von Lissabon 2007) schließlich zu Artikel 19 AEUV geworden ist und wie folgt lautet:

Unbeschadet der sonstigen Bestimmungen der Verträge kann der Rat im Rahmen der durch die Verträge auf die Union übertragenen Zuständigkeiten gemäß einem besonderen Gesetzgebungsverfahren und nach Zustimmung des Europäischen Parlaments einstimmig geeignete Vorkehrungen treffen, um Diskriminierungen aus Gründen des Geschlechts, der Rasse, der ethnischen Herkunft, der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung zu bekämpfen.

Dass „sexuelle Orientierung“ schließlich in diesen Artikel aufgenommen wurde, ist nicht zuletzt einer konzertierten Lobbying-Anstrengung europäischer Lesben- und Schwulenorganisationen zu verdanken. Auch die HOSI Wien spielte dabei keine unwesentliche Rolle. Im Folgenden eine Chronik über ihre Lobbying-Aktivitäten:

 

17. Mai 1995: Das Europäische Parlament verabschiedet in Vorbereitung auf die 1996 beginnende Regierungskonferenz (RK), im Zuge derer der EG- und der EU-Vertrag (Rom und Maastricht) geändert werden sollen, eine Entschließung, in der es heißt: Zusätzlich sollte der [neue] Vertrag eine klare Ablehnung von Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, Sexismus, Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung einer Person, Anti-Semitismus, Revisionismus und aller Formen von Diskriminierung enthalten… (vgl. LAMBDA-Nachrichten 3/1995, S. 54).

Juli 1995: Die HOSI Wien schreibt an Bundeskanzler Franz Vranitzky und Vizekanzler Wolfgang Schüssel, um diese Forderung zu unterstützen und zugleich die österreichische Position dazu zu erfahren (vgl. LN 3/1995, S. 54). Schüssel antwortet im August (vgl. LN 1/1996, S. 42 ff), Vranitzky erst im Jänner 1996 (vgl. LN 2/1996, S. 16 ff).

17. Oktober 1995: Die Generalsekretärin der International Lesbian and Gay Association (ILGA), INGE WALLAERT, spricht vor dem Europäischen Parlament in Brüssel und fordert in Übereinstimmung mit den Beschlüssen der ILGA die Aufnahme einer Antidiskriminierungsbestimmung, die sexuelle Orientierung enthalten muss, in die Verträge im Rahmen der bevorstehenden RK (vgl. LN 1/1996, S. 42 ff).

Dezember 1995: Beim Europäischen Rat in Madrid wird der Westendorp-Bericht angenommen. Dieser ist das Ergebnis der sogenannten Reflexionsgruppe, die aus hohen BeamtInnen der 15 EU-Staaten bestand und eingesetzt wurde, um Vorschläge für die Revision der Verträge auszuarbeiten. Darin heißt es: Viele von uns halten es für wichtig, dass der Vertrag deutlich solche europäischen Werte, wie Gleichheit zwischen Männern und Frauen, Nichtdiskriminierung aufgrund von Rasse, Religion, sexueller Orientierung, Alter oder Behinderung proklamieren und eine ausdrückliche Verurteilung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit und eine Vorgangsweise für ihre Durchsetzung enthalten solle (vgl. LN 1/1996, S. 42 ff).

Februar 1996: Die HOSI Wien schreibt an alle Klubobleute des Nationalrats und fordert sie auf, der österreichischen Regierung einen entsprechenden Auftrag in Sachen Nichtdiskriminierungsklausel mit auf den Weg zur Regierungskonferenz zu geben, die dann im März 1996 beim Europäischen Rat in Turin beginnt. Alle Klubobleute antworten außer jener der FPÖ. Das Liberale Forum (LiF) bringt einen entsprechenden Antrag im Hauptausschuss ein (vgl. LN 2/1996, S. 16 ff).

27. März 1996: Zwei Tage vor dem Beginn der Regierungskonferenz stellt die Bundesregierung die „österreichischen Grundsatzpositionen“ vor. Eine AD-Klausel inklusive sexueller Orientierung gehört nicht dazu.

Während der italienischen EU-Ratspräsidentschaft im ersten Halbjahr 1996 gibt es keine Textvorschläge für die Revision der Verträge.

Juli 1996: Irland übernimmt den EU-Vorsitz. Die irische Lesben- und Schwulenbewegung führt noch im Sommer Gespräche mit ihrer Regierung. Der zuständige Minister verspricht, in den Vorschlag der irischen Präsidentschaft besagte Bestimmung inklusive „sexuelle Orientierung“ aufzunehmen, was dann auch passiert. Die irische Bewegung sieht sich später auch als „Urheber“ dafür.

1. Oktober 1996: Erst jetzt präsentiert Schüssel auf einer Pressekonferenz in Luxemburg einen gemeinsamen Vorschlag mit dem italienischen Außenminister Dini, eine AD-Bestimmung inklusive „sexuelle Neigung“ in die Verträge aufzunehmen (vgl. LN 1/1997, S. 21ff). Ob Schüssel den Vorschlag wirklich im Detail gekannt hat, ist zu bezweifeln.

3. Dezember 1996: Der Hauptausschuss des Nationalrats verabschiedet seine „Leitlinien“ für die Aufnahme der Grundrechte in den EU-Vertrag. Mit den Stimmen von SPÖ, ÖVP, Grünen und LiF wird die Bundesregierung aufgefordert, mit Nachdruck für ein weitgefasstes Diskriminierungsverbot einzutreten, wobei der Hauptausschuss dieselben Kategorien wie im Dini-Schüssel-Vorschlag aufzählt, allerdings „sexuelle Neigung“ durch „sexuelle Orientierung“ ersetzt. Während der Dini-Schüssel-Vorschlag indes recht unverbindlich-schwammig ist (Die EU achtet darauf, dass keine Diskriminierung erfolgt), verlangt der Hauptausschuss klar und deutlich, dass ein Verbot der Diskriminierung … in die Verträge aufgenommen wird (vgl. LN 1/1997, S. 21ff). Die Briefe der HOSI Wien vom Februar 1996 an die Klubobleute waren also nicht umsonst.

5. Dezember 1996: Die irische Präsidentschaft legt ihren Textentwurf vor. „Sexuelle Ausrichtung“ ist als Schutzkategorie in der vorgeschlagenen AD-Klausel enthalten. Allerdings ist diese nicht als Verbot formuliert, sondern sieht nur vor, dass der Rat Maßnahmen zur Bekämpfung von Diskriminierung beschließen kann (vgl. LN 1/1997, S. 21ff). Dies wird auch die endgültige Fassung des Artikels 13.

Davor sollte es aber noch einen Rückschlag geben:

Ende Februar 1997: Die niederländische Ratspräsidentschaft legt einen neuen Textentwurf vor. Dank einer Indiskretion wird er ins Internet gestellt. Die Niederländer haben vier Kategorien aus dem AD-Artikel gestrichen: soziale Herkunft, Alter, Behinderung und sexuelle Orientierung. ILGA-Europa und die niederländische Lesben- und Schwulenbewegung organisieren eine Protestkampagne. Auch die HOSI Wien schreibt an den niederländischen Außenminister, seinen Staatssekretär und die für Lesben- und Schwulenemanzipation zuständige Staatssekretärin. Die HOSI Wien spricht auch mit einer der zuständigen Personen im Außenministerium in Wien, um die Wiederaufnahme der Kategorien einzufordern. Bei dieser Gelegenheit wird versichert, dass Österreich bei der fraglichen Sitzung auf der RK ausdrücklich für die Wiederaufnahme der vier Kategorien in den Textentwurf eingetreten sei. Auch das EP verabschiedet eine entsprechende Entschließung (vgl. LN 2/1997, S. 34).

20. März 1997: Der niederländische Außenminister verspricht im niederländischen Parlament, er werde der RK kurzfristig einen neuen Textvorschlag vorlegen, in dem die vier Kategorien wieder vorkommen, was auch geschieht (vgl. LN 2/1997, S. 34).

18. Juni 1997: Die Regierungskonferenz geht in Amsterdam zu Ende. Der AD-Artikel enthält „sexuelle Ausrichtung“ (vgl. LN 3/1997, S. 42 ff).

Nach der Neunummerierung der Verträge bekommt er später die Ziffer 13 im EG-Vertrag.

19. Juni 1997: HOSI Wien begrüßt den Erfolg in einer Medienaussendung.

1. Mai 1999: Der Vertrag von Amsterdam tritt in Kraft.

Dezember 2000: Durch den Vertrag von Nizza wurde folgender zweiter Absatz in Artikel 13 EGV (später Artikel 19 AEUV) aufgenommen:

(2) Abweichend von Absatz 1 können das Europäische Parlament und der Rat gemäß dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren die Grundprinzipien für Fördermaßnahmen der Union unter Ausschluss jeglicher Harmonisierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten zur Unterstützung der Maßnahmen festlegen, die die Mitgliedstaaten treffen, um zur Verwirklichung der in Absatz 1 genannten Ziele beizutragen.

Dies bedeutet, dass zur Verabschiedung von Fördermaßnahmen nur eine qualifizierte Mehrheit im Rat erforderlich ist und das Europäische Parlament ein Mitentscheidungsrecht hat. Leider gelang es nicht, dies auch für die im ersten Absatz geregelten gesetzlichen Maßnahmen durchzusetzen. Da blieb es beim Einstimmigkeitsprinizip.