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Großteil der Verurteilungen nach § 129 und § 209 getilgt

Veröffentlicht am 9. November 2006
2002 hat die HOSI Wien Forderungen zur Rehabilitierung der strafrechtlichen Verfolgung Homosexueller im 20. Jahrhundert durch die Republik Österreich formuliert. In den LN 6/2006 konnte ich über die ersten Erfolge der entsprechenden Bemühungen der HOSI Wien berichten. Bis heute stehen jedoch eine Entschuldigung des Parlaments und eine finanzielle Entschädigung der Opfer aus (vgl. dazu meinen Blog-Beitrag vom 3. Jänner 2020).

Justizministerin Karin Gastinger

Bei der Podiumsdiskussion der HOSI Wien zur Nationalratswahl (vgl. S. 8) berichtete BZÖ-Vertreter Norman Schadler, Vize-Kabinettschef von Justizministerin Karin Gastinger, auch über die bisherigen Bemühungen des Justizministeriums – und deren Ergebnisse – in Sachen Rehabilitierung jener Personen, die vor 2002 nach den anti-homosexuellen Strafrechtsbestimmungen verurteilt wurden. Die HOSI Wien hatte ja noch vor der Aufhebung des § 209 StGB auf ihrer Generalversammlung 2002 in einer Entschließung eine umfassende Rehabilitierung der Opfer der strafrechtlichen Verfolgung gefordert (nachzulesen im vollen Wortlaut hier). Seither hat die HOSI Wien diese Forderung auch mehrfach an Justizministerin Karin Gastinger herangetragen, etwa bei einem Gesprächstermin bei ihr im August 2004 (vgl. LN 4/2004, S. 7 f).

 

Mangelhafter Grün-Antrag

Auch nachdem ein Antrag der Grünen auf Verabschiedung eines entsprechenden Gesetzesentwurfs im September 2005 im Justizausschuss des Nationalrats von der ÖVP/BZÖ-Mehrheit abgelehnt worden war, schrieben wir in dieser Angelegenheit nochmals an Gastinger (vgl. LN 6/2005, S. 13). In ihrer Antwort begründete Gastinger die Ablehnung des grünen Antrags damit, dass darin nicht vorgesehen war, jene Personen von einer Rehabilitierung auszuschließen, die vor 1971 nach dem Totalverbot wegen sexueller Handlungen mit Personen unter 14 Jahren verurteilt worden waren, wobei Gastinger anerkannte, dass ein solcher Ausschluss in der Resolution der HOSI Wien an und für sich vorgesehen ist (vgl. LN 1/2006, S. 12). Leider haben die Grün-Abgeordneten hier gepfuscht und damit der ÖVP und dem BZÖ einen willkommenen Vorwand geliefert, die Rehabilitierung insgesamt abzublocken.

Dennoch war das Justizministerium nicht völlig untätig, wie Schadler vergangenen September im HOSI-Zentrum berichtete: Im Auftrag von Justizministerin Gastinger sei im Herbst 2005 das Institut für Strafrecht und Kriminologie an der Universität Wien zur tilgungsrechtlichen Aufarbeitung der Eintragungen im Strafregister beauftragt worden. Ausgangspunkt seien 1434 einschlägig Verurteilte gewesen. Diese Zahl habe aus der Beantwortung einer parlamentarischen Anfrage durch das Bundesministerium für Inneres gestammt. Allerdings habe sich herausgestellt, dass sich diese Zahl nicht auf die Zahl der Verurteilten, sondern auf die Zahl der Verurteilungen bezogen habe. Tatsächlich seien nach Überprüfung im Oktober 2005 nur 989 einschlägig Verurteilte im Strafregister dokumentiert gewesen. Bisher sei die Registrierung von 187 Personen durch Behebung von Mängeln bzw. durch Tilgungseintritt behoben worden. Die Arbeiten zur Korrektur von Registermängeln seien noch nicht abgeschlossen. Dennoch könne davon ausgegangen werden, dass im Oktober 2005 (zu Beginn dieser Arbeiten seitens des Justizministeriums) knapp 800 einschlägig Verurteilte zu Recht im Strafregister dokumentiert waren.

 

Einzelfallprüfung

Es habe sich auch als unrichtig herausgestellt, dass in all den erwähnten 1434 Fällen ein Verstoß gegen die anti-homosexuellen Bestimmungen jeweils das führende Delikt gewesen sei. Das seinerzeit verwendete Suchprogramm habe in dieser Richtung gar keine Differenzierung zugelassen.

Außerdem sei zu bedenken, dass das vor 1971 geltende Totalverbot (§ 129 I lit b StG) auch auf homosexuellen Missbrauch Unmündiger (Unter-14-Jähriger) und Vergewaltigungen angewendet wurde. Ebenso seien unter den Verurteilungen nach § 209 StGB u. a. auch solche wegen geschlechtlicher Nötigung des jugendlichen Opfers erfolgt. Um jene Verurteilten rehabilitieren zu können, bei denen diese Sonderaspekte nicht vorliegen und die Anwendung einschlägiger Bestimmungen daher als Eingriff in ihre Menschenrechte gewertet werden müsse, werde seit Oktober 2005 eine Einzelfallüberprüfung aller Verurteilungen durchgeführt. In all jenen Fällen, wo keine der erwähnten Aspekte vorliegen, es sich also um Sexualkontakte zwischen zustimmenden Über-14-Jährigen handelte, werde ein auf Tilgung der betreffenden Verurteilung gerichteter Gnadenvorschlag an den Bundespräsidenten erstattet. Ob das abgeurteilte Sexualverhalten als führendes Delikt im Sinne der Kriminalstatistik anzusehen wäre oder nicht, sei dabei unerheblich und bleibe daher unberücksichtigt.

Demnach würden auch Verurteilte zur Begnadigung vorgeschlagen, die andere Delikte zu verantworten hatten. Trifft der Schuldspruch wegen eines einschlägigen Deliktes also mit dem wegen anderer strafbarer Handlungen minderschwerer Art zusammen, so insbesondere mit Diebstahl, Betrug oder leichter Körperverletzung, erfolge grundsätzlich ein Gnadenvorschlag. Ein solcher unterbleibe hingegen, wenn der Verurteilte im selben Urteil einer strafbarer Handlung schuldig erkannt wurde, die einen gravierenden Eingriff in die Menschenrechte anderer bedeutete.

 

Erfolg für die HOSI Wien

Zusammenfassend konnte Schadler daher der HOSI Wien die doch erfreuliche Mitteilung machen, dass bei 187 der erwähnten 989 Verurteilten deren Verurteilungen durch Behebung von Mängeln bzw. durch Tilgungseintritt behoben worden und für weitere 564 Verurteilte Gnadenvorschläge erstattet und vom Bundespräsidenten durchwegs genehmigt worden seien. Das heißt, dass nach derzeitigem Stand noch 238 Verurteilte übriggeblieben seien, bei denen nach Ansicht des Justizministeriums eine Tilgung nicht vertretbar sei.

Schadler meinte in diesem Zusammenhang, dass das Ministerium damit dem berechtigten Ansinnen der HOSI Wien nachgekommen sei und die Justizministerin ihr Versprechen eingelöst habe. Damit sei zumindest die Frage der Tilgung und Rehabilitierung gelöst. Außerdem merkte er noch an, dass 60 % der Verurteilungen länger als 30 Jahre zurücklägen.

Was die Frage finanzieller Entschädigung für die Betroffenen anlangt, die die HOSI Wien ebenfalls einfordert, werden wir wohl weiterkämpfen müssen. Aber die nunmehr erfolgte systematische Überprüfung der Verurteilungen und der Tilgung in jenen Fällen, in denen auch wir dies für vertretbar halten, ist ein erster Erfolg und ein erster Schritt bei der Umsetzung unserer Resolution aus 2002.

 

Nachträgliche Anmerkungen:

In der darauffolgenden Legislaturperiode brachten die Grünen neuerlich einen Antrag (151/A) auf Verabschiedung eines Amnestie-, Rehabilitierungs- und Entschädigungsgesetzes (AREG) im Nationalrat ein, in dem die erwähnten Mängel ihres 2005 abgelehnten Antrags beseitigt wurden. Im Rahmen der ersten Lesung am 24. April 2007 wurde der neue Antrag dem Justizausschuss zugewiesen (vgl. LN 3/2007, S. 16), wo er bis zum Ende jener Legislaturperiode unbehandelt liegenblieb. 

Im Lauf der Jahre wurden einzelne Forderungen der erwähnten, 2002 von der HOSI-Wien-Generalversammlung verabschiedeten Resolution erfüllt und damit obsolet. Die aktuelle Version dieser Forderungen wurden 2018 ins offizielle Forderungsprogramm der HOSI Wien aufgenommen und lautet wie folgt:

VII. Rehabilitierung der Strafrechtsopfer

Noch bis 2002 wurden in Österreich Menschen wegen ihrer sexuellen Orientierung strafrechtlich verfolgt und ins Gefängnis gesperrt. Allein zwischen 1945 und 1971 wurden rund 15.000 Verurteilungen nach § 129 I b StG (Totalverbot homosexueller Handlungen sowohl zwischen Männern als auch Frauen) ausgesprochen; zwischen 1971 und 2002 waren es rund 1.500 Verurteilungen nach den §§ 209, 210, 220 und 221 StGB. Diese strafrechtlichen Sondergesetze waren menschenrechtswidrig.

Wir fordern daher eine Entschuldigung durch das Parlament und eine Rehabilitierung der Opfer, und zwar konkret eine Entschließung des Nationalrats, in der dieser

  1. sich zu seiner Verantwortung für die jahrzehntelange menschenrechtswidrige Unterdrückung und strafrechtliche Verfolgung von Lesben und Schwulen in Österreich bekennt;
  2. sich für das homosexuellen Frauen und Männern dadurch zugefügte Unrecht und Leid entschuldigt;
  3. alle Opfer dieser Gesetzgebung rehabilitiert und zu diesem Zweck die Möglichkeit schafft, Urteile, die gemäß § 129 I b StG sowie nach 1971 gemäß den §§ 209, 210, 220 und 221 StGB gefällt worden sind, offiziell für nichtig erklären und als Unrechtsurteile aufheben zu lassen und die Opfer entsprechend zu entschädigen – sofern es sich im Einzelfall um keine Straftatbestände handelte, die auch heute strafbar wären.

Eine solche Entschädigung soll insbesondere die beitragsfreie Anrechnung der Haftzeiten als Ersatzzeit auf die Pensionsversicherungszeit, die entsprechend verzinste Rückzahlung verhängter Geldstrafen sowie die pauschale Abgeltung für allfällige Anwalts- und Gerichtskosten und für jedes Haftmonat umfassen.

Im Rahmen dieser Entschädigung sind sämtliche sonstige Sanktionen und Maßnahmen, die gegen den erwähnten Personenkreis verhängt wurden, wie etwa die Aberkennung akademischer Grade, der Entzug von Gewerbeberechtigung oder Führerschein etc., kostenfrei zurückzunehmen bzw. aufzuheben bzw. die dafür in der Vergangenheit von den Betroffenen geleisteten allfälligen finanziellen Aufwendungen entsprechend zu ersetzen.