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§ 209 StGB endlich gefallen – Historischer Sieg für Schwule und Lesben, Riesenschlappe für FPÖVP

Veröffentlicht am 19. Juli 2002
Am 24. Juni 2002 hob der Verfassungsgerichtshof § 209 StGB als verfassungswidrig auf. Er hat dafür fünf Anläufe gebraucht. Daher hat die HOSI Wien auch nach diesem Erfolg heftige Kritik am VfGH geübt. Die LN 3/2002 befassten sich schwerpunktmäßig mit diesem historischen Sieg über ÖVP und FPÖ, die bis zuletzt jede Reform im Nationalrat blockierten. Das klägliche Versagen der SPÖ in dieser Sache wurde indes nicht ausgespart. Drei Beiträge aus dieser LN-Ausgabe habe ich für meinen Website übernommen.

Die Aufhebung des § 209 StGB durch den VfGH lieferte die Schlagzeilen für die Titelseiten der Tageszeitungen tags darauf.

Am 24. Juni 2002 gab der Verfassungsgerichtshof seine positive Entscheidung in der Beschwerde des Oberlandesgerichts Innsbruck gegen § 209 StGB bekannt: § 209 „wird als verfassungswidrig aufgehoben. Die Aufhebung tritt mit Ablauf des 28. Februar 2003 in Kraft.“

Im Rückblick wirkt es noch unglaublicher: Fünf Anläufe waren nötig, um den Verfassungsgerichtshof zur Feststellung dessen zu zwingen, was längst offenkundig war: Eine strafrechtliche Diskriminierung von Homosexuellen ist eine Menschenrechtsverletzung. Damit hat sich Österreichs Justiz genauso beharrlich und hartnäckig wie Österreichs Politik gegen die strafrechtliche Gleichbehandlung gewehrt. Diese unendliche Geschichte ist sicherlich alles andere als ein Ruhmesblatt für das Land. Und selbst die jetzige Entscheidung des VfGH ist keine Sternstunde der Rechtsprechung, hat es der VfGH doch vorgezogen, seine Begründung auf einen Nebenschauplatz zu verlegen, statt klipp und klar zu sagen, daß § 209 eine menschenrechtswidrige Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung und des Geschlechts ist.

Der HOSI Wien war seit langem klar, daß dem VfGH letztlich gar nichts anders übrigbleiben würde, als § 209 aufzuheben. Der internationale Druck durch Entscheidungen internationaler Menschenrechtsorgane und Entschließungen des Europäischen Parlaments war einfach zu stark geworden. Die Blamage für den VfGH wäre zu groß gewesen, hätte er sein Erkenntnis aus 1989 bestätigt und § 209 nochmals für verfassungskonform erklärt. Die vorgebrachten inhaltlichen Argumente waren indes auch 2001 im wesentlichen dieselben wie in den von der HOSI Wien unterstützten und finanzierten Individualanträgen aus 1986 und 1988, die der VfGH formal zurückwies, und in jener Beschwerde aus 1989, die der VfGH abwies, weil er § 209 damals für verfassungskonform hielt.

Die Frage der letzten Monaten war daher für den VfGH nur mehr, wie er sich ohne größeren Gesichtsverlust aus der Affäre ziehen bzw. wie lange er die Entscheidung noch hinauszögern könnte. Der Druck der HOSI Wien in den letzten Monaten und ihre Kritik an der Verzögerungstaktik des VfGH haben ihm aber dann offenbar doch Beine gemacht. Am 6. Juni, vor Beginn der Sommersession, appellierte die HOSI Wien in einer Presseaussendung nochmals an den VfGH: „Jedes weitere Hinauszögern dieser Entscheidung verursacht zusätzliche Menschenrechtsverletzungen, weil § 209 nach wie vor angewendet wird. Mit jedem weiteren Fall und jedem weiteren Tag, an dem § 209 besteht, vergrößern die VerfassungsrichterInnen daher auch ihre persönliche Schuld an diesen Menschenrechtsverletzungen. Es ist höchste Zeit, daß der VfGH sein skandalöses Fehlurteil aus 1989 korrigiert, mit dem er § 209 für verfassungskonform erklärte. Das Ende der kommenden Session des VfGH fällt mit der Regenbogenparade am 29. Juni in Wien zusammen. Wir hoffen, daß wir bei dieser Gelegenheit dann endlich das Ende der menschenrechtswidrigen strafrechtlichen Diskriminierung von Homosexuellen in Österreich feiern werden können.“

Ein weiteres Hinausschieben der Entscheidung schien zuletzt also ebensowenig mehr möglich wie eine Bestätigung des Urteils aus 1989. Argumente wurden daher nicht mehr inhaltlich gewürdigt, sondern bloß in Hinblick darauf, ob sie tauglich waren für eine Exit-Strategie oder nicht. Es ging längst nicht mehr um hieb- und stichfeste Argumente oder einen formal wasserdichten Antrag. Umso lächerlicher die Darstellung GÜNTER TOLARs in der PRIDE-Sonderausgabe (Nr. 68a), daß erst zwei junge, talentierte und gescheite Leute daherkommen mußten, die statt zu quatschen, zu schimpfen, zu keppeln und zu polemisieren, sich einfach bei einem gemütlichen Abendessen bis drei Uhr früh zusammensetzten, um einen Schriftsatz so maßzuschneidern, daß die VerfassungsrichterInnen einfach richtig entscheiden mußten. Natürlich glaubt auch Günter Tolar nicht so naiv an das Gute und Gerechte, schon eher wohl an die alleinige Vaterschaft der zwei staubtrockenen Pragmatiker, aber ultra-peinlich ist es trotzdem, denn die harten Fakten widerlegen ihn eindeutig. Dabei ist vor allem die Reinwaschung des VfGH ärgerlich, der jetzt so hingestellt wird, als hätte er völlig objektiv entschieden und als hätte ihm bisher bloß die passende Grundlage zur Aufhebung des § 209 gefehlt, denn das ist ein absoluter Schwachsinn!

 

Historischer Sieg über FPÖVP

Der Ausgang des Verfahrens ist ein großer und historischer Sieg der österreichischen Lesben- und Schwulenbewegung, an dem sicherlich die HOSI Wien den größten Anteil hat. In den letzten zwei Jahrzehnten hat sie konsequent und hartnäckig den Kampf gegen § 209 angeführt. Es ist nicht zuletzt ihren vielfältigen Aktionen und Bemühungen zu verdanken, insbesondere beim Europäischen Parlament, Europarat und bei der UNO, daß der Boden so aufbereitet worden ist, daß der VfGH den 209er jetzt nur mehr aufheben konnte. Die HOSI Wien war nicht nur federführend beim Lobbying in Österreich, sondern praktisch fast allein auf weiter Flur, als es darum ging, die Sache aufgrund der innenpolitischen Stagnation in den letzten Jahren verstärkt auch auf die europäische und internationale Ebene zu tragen.

So ist es auf das intensive Lobbying der HOSI Wien zurückzuführen, daß Österreich sechsmal namentlich vom Europäischen Parlament aufgefordert wurde, § 209 abzuschaffen. Einmal wurde die entsprechende Resolution sogar von ihr im Entwurf getextet. Die Verurteilung Österreichs durch den UNO-Ausschuß für Menschenrechte geht auf ihren Schattenbericht an diesen Ausschuß zurück. Die HOSI Wien hat initiiert, daß die zuständige Ministerin im schwedischen Reichstag klargestellt hat, daß 209er-Verfolgte in Schweden politisches Asyl erhalten können. Die HOSI Wien hat diese Menschenrechtsverletzung den drei EU-Weisen ebenso vorgetragen wie der Europäischen Kommission, den verschiedenen EU-Ratspräsidentschaften und allen EU-Regierungen.

Die HOSI Wien hat eine umfassende Chronik ihrer Aktivitäten und der Ereignisse und Entwicklungen in Zusammenhang mit § 209 zusammengestellt, um einerseits ihren wesentlichen Beitrag zum jetzigen Erfolg, andererseits aber auch die Schande zu dokumentieren, die das krampfhafte und irrationale Festhalten bornierter PolitikerInnen und starrsinniger HöchstrichterInnen an diesem Unrechtsparagraphen letztlich bedeutet. Dieses 45 Seiten starke Dokument über ein wichtiges Kapitel österreichischer Schwulen- und Lesbengeschichte ist hier nachzulesen.

Der jetzige Erfolg hat natürlich viele Väter. Die Leistungen Helmut Graupners als Anwalt sind unbestritten und ebenfalls hervorzuheben. Weniger rühmlich sind allerdings seine Angriffe auf die HOSI Wien in der Endphase unseres Kampfes gegen § 209. Mit anderen Lesben- und Schwulenorganisationen wurde da am 24. März 2002 eine gemeinsame „Erklärung“ unterschrieben und in einer seltenen Anstrengung Mitte April breit unter PolitikerInnen verteilt (man wünschte, diese Gruppen brächten derart viel Energie und Ressourcen auch einmal im Kampf gegen unsere gemeinsamen Feinde auf). Darin wurden der HOSI Wien „unqualifizierte und kontraproduktive Äußerungen sowie Aktionen“ – „insbesondere durch ihren Generalsekretär“ – vorgeworfen. [Vgl. meinen Kommentar im selben Heft]

Die SPÖ-nahe SoHo (Sozialismus und Homosexualität) entblödete sich sogar nach dem Entscheid des VfGH nicht, entgegen den offensichtlichen Fakten zu behaupten, die Kritik der HOSI Wien am VfGH hätte den positiven Ausgang gefährdet (das Gegenteil trifft zu, wie sich gezeigt hat: Die vehemente Kritik der HOSI Wien hat sichtlich den VfGH in die Enge getrieben). Implizit unterstellte die SoHo damit dem VfGH einerseits, er mache seine Entscheidung vom Wohlverhalten der Opfer einer bekämpften Rechtsnorm abhängig, und andererseits, er lasse sich vom katholisch-fundamentalistischen Mob beeinflussen.

Eine Befürchtung war nämlich angeblich, die öffentliche Debatte über die Befassung des VfGH mit der Beschwerde würde zur massiven Mobilisierung unserer GegnerInnen führen. Selbst wenn es so gewesen wäre – was ist das für eine Demokratie und für ein Rechtsstaat, wo derartig wichtige Fragen im stillen Kämmerlein ausgemacht werden sollen? Da spielt die HOSI Wien sicherlich nicht mit. Ganz abgesehen davon, daß spätestens auf der Pressekonferenz des VfGH am 22. Februar die Sache offiziell wurde. Und zu glauben, man hätte das Anhängigsein einer zweiten Beschwerde vor den fanatischen ChristInnen geheimhalten können, heißt, sie doch etwas zu unterschätzen.

Die unqualifizierten Angriffe der SoHo auf die HOSI Wien – die SoHo initiierte im Frühjahr auch die famose vorhin erwähnte Hetzkampagne gegen die HOSI Wien – hängt wohl damit zusammen, daß ihre Funktionäre nicht akzeptieren können, daß die HOSI Wien ihre Arbeit (partei-)unabhängig macht und dabei auch nicht vor Kritik an der SPÖ zurückschreckt und nicht nach der SoHo-Pfeife tanzt. Daran wird sich indes nichts ändern – auch nicht durch die bei jeder Gelegenheit in Publikationen der Bundesländer- und anderer Vereine ausgeteilten kindischen und blöden Seitenhiebe Günter Tolars auf die HOSI Wien. Wann kapiert man das endlich?

Die SoHo versuchte dann auch, ihren vermeintlichen Beitrag zur Aufhebung des § 209 groß hervorzustreichen, und berichtete, wie die SPÖ den offenbar als überfordert eingeschätzten Innsbrucker Richtern helfend unter die Arme greifen und den gleichermaßen wohl als inkompetent eingestuften VerfassungsrichterInnen beim Ausformulieren ihres Erkenntnisses die Feder führen mußte. Es ist sicherlich rührend und anerkennenswert, daß die SPÖ die Sache jetzt unterstützt hat, aber darob sollte nicht in Vergessenheit geraten, daß sie genug Anlaß zu schlechtem Gewissen hat, denn nur zu oft hat sie in der Vergangenheit kläglich versagt (siehe nachfolgenden Text). Die SPÖ hat in der Tat vieles gutzumachen.

 

 

Das klägliche Versagen der SPÖ

 

Frühjahr 1993 – Sommer 1994:

Im Frühjahr 1993 spaltet sich das Liberale Forum von der FPÖ ab. Bis zu den Wahlen im Oktober 1994 besteht eine Ampelmehrheit aus SPÖ, Grünen und LiF für die Aufhebung des § 209. Am 9. Juni 1996 torpediert ÖVP-Justizausschußvorsitzender Michael Graff erfolgreich eine rechtzeitige Behandlung eines Strafrechtsänderungsgesetzes vor der Sommerpause und damit vor dem Ende der Legislaturperiode. Die SPÖ setzt dem nichts entgegen und scheut sich selbst drei Monate vor den Neuwahlen, den Koalitionspakt in dieser Frage aufzukündigen. Die SPÖ vergibt diese einmalige Chance, die bis heute nicht wiederkehren sollte, denn bei den Wahlen im Oktober 1994 geht die fortschrittliche Mehrheit der Ampelparteien verloren und ist bis heute nicht mehr zurückgewonnen worden. Ihre Nibelungentreue sollte der SPÖ allerdings später von der ÖVP nicht belohnt werden.

 

Herbst 1994:

Nach den Nationalratswahlen wird die große Koalition fortgesetzt. Der SPÖ gelingt es nicht, die Paragraphenreform ins Koalitionsabkommen aufzunehmen.

 

Herbst/Winter 1995/96:

Im Oktober 1995 hat Schüssel die Koalition platzen lassen. Seine Rechnung geht nicht auf. Die Wahlen im Dezember bringen keine großen Veränderungen, die große Koalition wird fortgesetzt. Am 9. Jänner fordert die HOSI Wien Bundeskanzler Vranitzky in einem Schreiben auf, die Aufhebung der §§ 209, 220 und 221 im Koalitionsübereinkommen mit der ÖVP zu verankern. Am 7. März 1996 wird der Koalitionspakt geschlossen. Die Paragraphenreform wird bloß zum koalitionsfreien Raum erklärt.

 

15. Juli 1998:

Dem Europa-Parlament liegen drei Anträge für Dringlichkeitsresolutionen vor, in denen u. a. auch Österreich aufgefordert werden soll, § 209 aufzuheben. Die SP-Fraktion, darunter auch vier der sechs österreichischen EP-Abgeordneten, stimmt dagegen, die Anträge auf die Tagesordnung für das Plenum am nächsten Tag zu setzen, und verhindert damit die einmalige Chance, am Tag vor der Abstimmung über § 209 im Nationalrat eine solche Aufforderung des Europäischen an das österreichische Parlament zu verabschieden [vgl. LN 4/1998].

 

17. Juli 1998:

Der Nationalrat stimmt zum bisher letzten Mal über § 209 ab. Der SPÖ ist der Koalitionspakt neuerlich wichtiger als die Menschenrechte von Schwulen (der koalitionsfreie Raum wurde nach der gescheiterten Abstimmung am 27. November 1996 aufgekündigt), sie will nicht gegen die ÖVP stimmen. Die SPÖ-Abgeordneten verlassen geschlossen den Plenarsaal. Da einige FPÖ-Abgeordnete fehlen, hätte es eine Mehrheit für die Aufhebung geben können, wenn alle SPÖ-Abgeordneten dafür gestimmt hätten [vgl. LN 4/1998].

 

14. Oktober 1999:

In einer Presseaussendung erinnerte die HOSI Wien die SPÖ an ihr Wahlprogramm und an ihre Wahlversprechen und forderte sie auf, bei den bevorstehenden Regierungsverhandlungen darauf zu bestehen, daß u. a. die Aufhebung des § 209 in ein gemeinsames Regierungsprogramm mit der ÖVP aufgenommen wird. Dieser Punkt sollte jedoch einer der ersten sein, bei dem die SPÖ gegenüber der ÖVP nachgibt. Die Koalitionsverhandlungen platzen indes später ohnehin, der Rest ist bekannt…

 

Nachträgliche Anmerkung:

Links zu früheren Beiträgen über die Abschaffung des § 209 StGB auf diesem Website:

§ 209: Verfassungsgerichtshof setzt auf Zeitgewinn (LN 1/2002)

§ 209: Warten auf den Verfassungsgerichtshof (LN 4/2001)

Regierungsbildung: § 209 & Co ein Thema? (LN 1/2000)

Trauerspiel im Parlament: § 209 StGB bleibt (LN 4/1998)