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§-209-Verfolgte: Asyl in Schweden

Veröffentlicht am 23. April 2001
Auch nach Aufhebung der Maßnahmen der EU-14 gegen die österreichische Bundesregierung setzte die HOSI Wien ihr Lobbying gegen § 209 auf europäischer Ebene fort. Anfang 2001 wurde der schwedische EU-Ratsvorsitz, Schwedens Botschafterin in Wien und der Reichstag in Stockholm bemüht. Ich berichtete wieder aus erster Hand darüber in den LN 2/2001.

Gabriella Lindholm, Schwedens Botschafterin in Wien, empfing CHRISTIAN HÖGL und mich zu einem Gespräch am 22. Jänner 2001.

In den letzten LN (S. 26 f) haben wir über die verstärkten Bemühungen der HOSI Wien und auch der ILGA-Europa, auf europäischer und internationaler Ebene gegen den menschenrechtswidrigen Paragraphen 209 anzukämpfen, berichtet und die geplanten Gesprächstermine bei der schwedischen Botschafterin in Wien und beim schwedischen EU-Vorsitz in Stockholm erwähnt.

Der Gesprächstermin mit Gabriella Lindholm, Schwedens Botschafterin in Österreich, fand kurz nach Erscheinen der letzten LN statt (am 22. Jänner) und dauerte eine gute Stunde. CHRISTIAN HÖGL und der Autor dieser Zeilen berichteten der Botschafterin und einem Mitarbeiter ausführlich über § 209, schilderten die krassesten Fälle (Näheres im folgenden Beitrag ab S. 16) und überreichten verschiedene Unterlagen, darunter jenes Dossier, das wir schon im August 2000 den drei EU-Weisen in Heidelberg überreicht hatten [vgl. LN 4/2000] – siehe Presseaussendung der HOSI Wien vom 22. Jänner 2001. Auch später schickten wir ihr aktuelle Informationen. Die Online-Ausgabe von Täglich alles berichtete über unser Gespräch unter der Überschrift: Schwule fordern neue Sanktionen gegen Österreich.

 

Anfrage an schwedische Ministerinnen

Wir informierten auch unsere FreundInnen von RFSL, dem schwedischen Lesben- und Schwulenverband, über unser Gespräch. Sie machten den Vorschlag, doch eine diesbezügliche parlamentarische Anfrage im Reichstag stellen zu lassen. Gesagt, getan! Wir schlugen zwei Fragen vor, und RFSL nahm Kontakt zu TASSO STAFILIDIS, einem offen schwulen Abgeordneten der Linkspartei (Vänsterpartiet; Exkommunisten), auf. Vänsterpartiet ist seit den letzten Wahlen 1998 mit zwölf Prozent die drittstärkste Fraktion im Reichstag. Stafilidis leitet dort auch die „Homogrupp“, der Abgeordnete verschiedener Fraktionen angehören, die sich besonders für lesbisch/schwule Belange einsetzen.

Am 1. Februar 2001 richtete er eine schriftliche Anfrage an Außenministerin Anna Lindh [1957–2003], von der er wissen wollte, welche Maßnahmen Schweden während des EU-Ratsvorsitzes im ersten Halbjahr 2001 zu setzen gedenkt, um Österreich zur Aufhebung des § 209 zu bewegen. Die HOSI Wien wies in einer Presseaussendung am 3. 2. auf die Anfrage hin. Am 9. Februar antwortete Lindh: Diskriminierung und Bestrafung von Menschen ausschließlich aufgrund ihrer sexuellen Orientierung stehen im Widerspruch zum grundlegenden Prinzip der Gleichheit und Gleichberechtigung aller Menschen. (…) Gesetze, die Homosexuelle diskriminieren, sind klarerweise inakzeptabel. (…) Selbstverständlich muß die gleiche Altersgrenze für homosexuelle, lesbische und heterosexuelle Beziehungen gelten (Übersetzung durch den Autor dieser Zeilen). Schweden werde weiterhin in jenen Zusammenhängen, wo es aktuell und der Sache am besten dienlich ist, z. B. im Rahmen des Europarats, Diskriminierungen, wie sie beispielsweise im österreichischen Strafgesetz bestehen, zur Sprache bringen.

Am 14. Februar richtete Stafilidis eine weitere Anfrage an die für Asyl und Einwanderung zuständige Ministerin Maj-Inger Klingvall, von der er wissen wollte, ob 209er-Betroffene in Schweden Asyl erhalten könnten. Seit dem Amsterdamer Vertrag (1. 5. 1999) werden ja Asylanträge von EU-StaatsbürgerInnen in einem anderen EU-Land praktisch automatisch als unbegründet abgelehnt. Am 23. Februar gab Klingvall eine ebenso erfreuliche wie sensationelle Antwort: Asylanträge von österreichischen StaatsbürgerInnen werden auf individueller Basis von Schweden angenommen und geprüft. Ist die betreffende Person ein Flüchtling gemäß der Genfer Konvention oder in sonstiger Weise schutzbedürftig, dann wird eine Aufenthaltserlaubnis gemäß denselben Grundsätzen gewährt, wie sie für andere Nationalitäten gelten (Übersetzung durch den Autor). Diese Festlegung war der HOSI Wien natürlich eine ausführliche Presseaussendung wert, in der sie auch allen 209er-Betroffenen riet, lieber in Schweden um Asyl anzusuchen, als Gefängnis oder gar eine lebenslange Anhaltung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher zu riskieren. Der Standard berichtete ausführlich am 9. März. Die parlamentarischen Anfragen und die Antworten der Ministerinnen sind übrigens auf dem Website des schwedischen Reichstags (auf schwedisch) abrufbar: Es handelt sich um die Anfragen # 618 und # 698 aus 2001.

RFSL unterstützte die Angelegenheit aber auch bei einer weiteren Gelegenheit: Bevor der schwedische Ministerpräsident und EU-Ratsvorsitzende Göran Persson vor dem Stockholmer EU-Gipfel seine Hauptstädte-Tour unternahm, die ihn am 27. Februar auch nach Wien führte, schrieb RFSL an Persson und forderte ihn auf, die Frage des § 209 in seinem Gespräch mit Bundeskanzler Wolfgang Schüssel anzuschneiden. Ob das passiert ist, ist uns nicht bekannt.

 

ILGA-Europa befaßt EP und EU-Ratsvorsitz

Auch der europäische Lesben- und Schwulenverband ILGA-Europa wurde in Sachen § 209 aktiv. Am 21. März fand im Europäischen Parlament in Brüssel eine Anhörung über die „Lage der Menschenrechte in der EU und den Aufbau des europäischen Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“ statt. An diesem vom „EP-Ausschuß für die Freiheiten und Rechte der Bürger, Justiz und innere Angelegenheiten“ organisierten Meinungsaustausch über Fragen u. a. der gemeinsamen Einwanderungs- und Asylpolitik nahmen auch Mitglieder der nationalen Parlamente und VertreterInnen von Nichtregierungsorganisationen teil, darunter eben auch der ILGA-Europa [vgl. Aussendung der HOSI Wien vom 22. März 2001].

Die ILGA-Europa bereitete für die Anhörung eine schriftliche Stellungnahme vor, die bei der Anhörung verteilt wurde. Darin wird auf noch bestehende Verletzungen der Menschenrechte lesbischer Frauen und schwuler Männer in manchen EU-Staaten hingewiesen, wobei der Schwerpunkt auf Österreich liegt. Auch drei aktuelle krasse 209er-Fälle werden in der Stellungnahme geschildert. Leider durften NGO-VertreterInnen bei der Anhörung nicht das Wort ergreifen. Die ILGA-Europa war durch ihre neue Angestellte (information officer) METTE VADSTRUP MADSEN vertreten.

Einen Tag später, am 22. März, trafen die beiden ILGA-Europa-Vorstandsvorsitzenden JACKIE LEWIS und der Autor dieser Zeilen in Stockholm mit einer Vertreterin der EU-Ratspräsidentschaft zusammen. Botschafterin Catherine von Heidenstam von der Abteilung für Völkerrecht und Menschenrechte im schwedischen Außenministerium nahm sich fast eineinhalb Stunden Zeit, um sich über die Anliegen der ILGA-Europa informieren zu lassen. Auch die menschenrechtswidrige Situation durch § 209 in Österreich wurde ausführlich geschildert, die von der HOSI Wien bereits für die drei Weisen zusammengestellten Unterlagen wurden übergeben. Sichtlich beeindruckt war von Heidenstam vom Umstand, daß Amnesty International kurz zuvor einen 209er-Betroffenen als Gewissensgefangenen adoptiert hatte – wir überreichten ihr die entsprechende Presseerklärung von AI.

Eine der Punkte, die wir in diesem Gespräch unterstrichen, war die Forderung bzw. die Notwendigkeit, im jährlichen Menschenrechtsbericht der EU, der vom Rat ausgearbeitet und jeweils im November präsentiert wird, konkrete Menschenrechtsverletzungen aufgrund der sexuellen Orientierung durch manche Mitgliedsstaaten beim Namen zu nennen und in den Bericht aufzunehmen. Diese Forderung wird die ILGA-Europa auch gegenüber der kommenden belgischen EU-Präsidentschaft erheben, die dann im November federführend den nächsten Bericht veröffentlichen wird. Um einen Gesprächstermin mit VertreterInnen des belgischen Außenministeriums hat die ILGA-Europa bereits angesucht.

 

Abgehen vom Öffentlichkeitsprinzip

Wie ebenfalls in den letzten LN berichtet (S. 26 f), hat die HOSI Wien an die Staatskanzleien und Außenministerien Irlands, Dänemarks und Schwedens Ansuchen um Einsicht in jene Akten gerichtet, aus denen hervorgeht, warum die Regierungen dieser Länder im Vorjahr der Aufhebung der Maßnahmen der EU-14 gegen die österreichische Bundesregierung zugestimmt haben [vgl. LN 4/2000], ohne auf der Beendigung der Menschenrechtsverletzungen an Homosexuellen in Österreich zu bestehen. Diese drei Länder verfügen über ein Prinzip der Öffentlichkeit der Verwaltung, das Zugang zu allen Dokumenten der Verwaltung vorsieht.

Daß dieses grundsätzliche Öffentlichkeitsprinzip aber auch seine Einschränkungen kennt, sollten wir im Zuge unserer Anträge erfahren. So übermittelte uns etwa das dänische Außenministerium nach Durchsicht der Akten zwar 17 Dokumente – ausnahmslos Berichte dänischer Botschaften aus EU-Hauptstädten mit einschlägigen Zeitungsartikeln, die allerdings keinerlei Aufschluß über die Diskussionen und Gründe geben, warum die Menschenrechtsverletzungen an Homosexuellen im Zusammenhang mit der Aufhebung der Maßnahmen ignoriert wurden –, teilte uns jedoch mit, daß uns vier Dokumente nicht ausgefolgt werden können, weil dies als ernster Vertrauensbruch aufgefaßt werden kann, der Dänemarks Beziehungen zur EU und zu EU-Mitgliedsstaaten und im weiteren der Wahrung der dänischen Außenpolitik schaden würde. Es wird dazu bemerkt, daß die Veröffentlichung von Unterlagen, durch die Informationen oder Erörterungen bekannt werden, die im Vertrauen auf die völkerrechtliche Gepflogenheit der Vertraulichkeit in internationalen Beziehungen übermittelt bzw. geführt werden, den außenpolitischen Interessen Dänemarks schaden könnte (Übersetzung aus dem Dänischen vom Autor dieser Zeilen). Von seiten der Kanzlei des dänischen Ministerpräsidenten ist bislang noch keine Erledigung erfolgt, obwohl mit Schreiben vom 8. Februar eine solche innerhalb von vier Wochen angekündigt worden war.

Auch in Schweden haben wir uns die Zähne ausgebissen. Das Büro Ministerpräsident Perssons verwies uns ans Außenministerium, versicherte uns aber einmal mehr, daß für die schwedische Regierung strafrechtliche Diskriminierung von Homosexuellen „völlig inakzeptabel“ sei, und erklärte zugleich, daß die Maßnahmen gegen die österreichische Regierung nicht wegen der Situation der Homosexuellen in Österreich, sondern deshalb verhängt worden seien, weil nach den Wahlen 1999 die konservative ÖVP und die fremdenfeindliche FPÖ eine Koalitionsregierung gebildet haben. Das schwedische Außenministerium wiederum teilte uns mit, daß nach Durchsicht des Archivs keine Dokumente zum Vorschein gekommen seien, die sich in Zusammenhang mit der Entscheidung über die Aufhebung der Maßnahmen spezifisch mit den Rechten der Homosexuellen befassen würden. Das Ministerium betonte ebenfalls, daß die Aufhebung der Maßnahmen, die auf dem Weisenbericht beruhte, nicht heiße, daß Schweden gegenüber den Menschenrechten von Homosexuellen gleichgültig wäre, sondern wies vielmehr auf Schwedens diesbezügliche Bemühungen u. a. im Zusammenhang mit der EU-Charta der Grundrechte hin.

Auch mit Irland gestaltete sich der Antrag auf Akteneinsicht unerfreulich bis unergiebig. Nachdem wir gegen die ursprüngliche Erledigung (uns waren nur Kopien unseres Schriftverkehrs zugeschickt worden!) Einspruch erhoben hatten, wurde uns dann im zweiten Durchgang der Weisenbericht zugeschickt. Gegen diese weitere Pflanzerei durch das irische Außenministerium haben wir nun abermals berufen, und zwar beim Office of the Information Commissioner. Eine endgültige Erledigung steht noch aus.